Ich lege Rosen auf mein Grab
Erfahrung zu bringen. Der Mugalle-Jossa hätte da schon etwas in einer Größenordnung anstellen, unternehmen oder vorweisen müssen, die für das Fernsehen interessant gewesen wäre, dann hätte er auch im Knast sehr bald davon gewußt, mit Ausnahme seiner Zeit im Arrestbunker natürlich; schien er aber nicht getan zu haben, war ganz offensichtlich mit seinen Millionen in die Ferne gezogen. Oder? Sicher, er, Mugalle, kannte doch den Entlassungstermin, und da wäre es Wahnsinn gewesen, bis heute als Jossa und noch dazu in Bramme weiterzuleben.
Und wenn doch?
Dann gab es für den falschen Jossa nur noch eine Chance: den richtigen verschwinden zu lassen.
Jossa fuhr herum, stellte sich mit dem Rücken ans Brückengeländer, musterte jeden Passanten in seiner Nähe mit ängstlich-prüfenden Blicken.
Wo würde Mugalle ihn erwarten, ihm auflauern?
War Mugalles Killer schon in Bramme?
Gott: Vielleicht hatte Nobby in Bremen nicht aus eigenem Antrieb auf ihn und Eva geschossen, sondern im Auftrag Mugalles?
Wahrscheinlich, so überlegte er weiter, war Mugalle als Jossa inzwischen wieder so weit nach oben geklettert, herrschte über millionenschwere Banken und Konzerne, daß er, um seine Existenz zu retten, gar nicht anders konnte, als den Menschen auszuschalten, der jetzt Mugalle war und ihm alles wieder nehmen konnte, wenn er nur ein wenig Fortune hatte, bei den Leuten Glauben fand, denen er seine Story erzählte.
Dieser Jossa muß verschwinden, hört ihr!
Jossa sah sich um, und das schräg gegenüberliegende Gebäude der HÖV erschien ihm als die bestgeeignete Stätte, mit seiner Panik klarzukommen, denn wo immer Mugalle auch zuschlagen würde, ganz sicher nicht in dieser Fabrikationsstätte für staatstragenden Beamtennachwuchs, Hochschule für öffentliche Verwaltung genannt; und außerdem, zwei Fliegen… konnte er dort drüben auch gleich einmal versuchen, Prof. Lachmund zu sprechen. Viele Trümpfe hatte er nicht, und vielleicht war es gut, gleich den ersten auf den Tisch zu werfen und auf den Stich zu hoffen.
Er überquerte die Brammermoorer Heerstraße und betrat die Eingangshalle, umspült von beglückt heimwärts strebenden Studenten, kämpfte sich zur Pförtnerloge vor, fand sie aber von keinem der Auskunftsassistenten besetzt, mußte sich erst durchfragen, kam an jenem Hörsaal vorbei, wo ihm damals Gardys Stimme aufgefallen war, erreichte schließlich Lachmunds Zimmer, zögerte sekundenlang und klopfte dann.
Jetzt mußte sich alles entscheiden.
Nichts entschied sich aber, denn der Herr Professor war, wie ihm ein käsiger Tutor erklärte, gerade zu einer Exkursion nach Brüssel gestartet, den Studenten EG-liches zu zeigen, käme bestenfalls Ende nächster Woche nach Bramme zurück.
«Danke», sagte Jossa und war in einem Maße enttäuscht, daß ihm die Kraft zum Weitergehen fehlte. Er schaffte es eben noch bis in die Cafeteria, besorgte sich schnell Whisky und Kaffee, um wieder auf Touren zu kommen.
Mugalle… Wo würde er zuschlagen, wann und wie?
Verfolgungswahn… Die Kugel im Kopf… Die Narbe… Du hast ja nicht mehr alle…!
Jossa drehte sich fast im Kreis herum, ließ die Beine seines ohnehin fragilen Stuhls gefährlich knicken. Brauchte einen Begleiter. Zu zweit war man viel sicherer. Aber wen? Wo konnte er hier einen finden, der den Tag an seiner Seite verbrachte? Einen, eine. Irgendwo gab es Stellen, die Geschäftsleuten Damen vermittelten, nicht fürs Bett, sondern für Theaterbesuche, Bälle und dergleichen, ganz seriös. Aber sicher nicht in Bramme hier. Und unseriöse Damen oder Herren? Sollte er zum Bahnhof gehen, sich was suchen? Psychische Leibwächter, wenn man wollte?
Quatsch, alles Quatsch; siehe Nobby, der ja auch im Beisein eines anderen Menschen…
Da mußt du schon allein durch!
Er verließ die HÖV, überquerte nun den Fluß, bog links am Ufer ab, um über eine kleine Parkanlage zur Fährgasse zu kommen.
«Hallo…!»
Eine junge Frau… Gott, das war doch das dicke durchgeistigte Mädchen, das ihn damals immer bedrängt hatte, ihre literarischen Versuche durchzugehen. Die war sicher sensibel genug, ihn zu verstehen und… Er griff nach ihr.
Mit einem leisen Aufschrei stürzte sie davon, so als wäre er ein Sittenstrolch, hätte er sie ins Gebüsch zerren wollen.
Die Narbe, Mensch!
Schlimm mußte er aussehen.
Er lief ihr dennoch hinterher, wollte etwas rufen, wußte aber nicht mal ihren Namen.
Lachmund nicht da – 0:1. Die junge Dichterin in Panik geflohen –
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