Ich liebe dich, aber nicht heute: Roman (Piper Taschenbuch) (German Edition)
aufkommen ließen. Sicher saß Marius schon wieder auf einem Rennrad oder ruderte über den See. Ständig war er in Bewegung. Jetzt wollte sie mal keine Bewegung. Einfach faul sein. Nichts tun, den schönen Tag an sich vorbeiziehen lassen, alle Möglichkeiten ignorieren.
Sie zog ihren Zeh aus der Sonne zurück und ging in die Küche. Die hatten sie sich vor zehn Jahren gegönnt: aus tomatenrotem Lack. Sie gefiel ihr noch immer, vor allem der Küchenblock in der Mitte hatte es ihr angetan. Eine Küche für gemütliche Zusammenkünfte, gemeinsames Kochen, Herumstehen, Schnippeln und Quatschen. Und alles bei einem Glas Wein.
Sie blieb vor dem Küchenblock stehen und strich mit der Hand über die glatte Oberfläche. Prädestiniert für exzessiven Sex. Aber das war nie passiert. Wie langweilig sie doch geworden waren. Eine Küche nur zum Kochen. Hatte das etwas mit dem Alter zu tun?
Sie entschied sich um. Keinen Cappuccino, lieber ein Glas Weißwein. Und dann auf dem Balkon sitzen, die Füße aufs schmiedeeiserne Geländer legen und die Menschen unter sich vorbeiflanieren lassen. Das machte sie am Sonntag sonst nie. Ihr schmaler Altbaubalkon lag im zweiten Stock und war am nie versiegenden Menschenstrom der Fußgängerzone zu nah dran. Sie saßen wie auf dem Präsentierteller, und Marius hatte das immer grauenhaft gefunden. Er hat sich höchstens abends hinausgesetzt, wenn die Geschäfte schlossen, die Dämmerung kam und er mit seinem Glas Wein oder Bier unsichtbar geworden war.
Dann setze ich mich halt auf den Präsentierteller, dachte Liane jetzt und sah an sich hinunter. Sie hatte nach dem Aufstehen einfach nur ein Hängerchen übergeworfen, ein weites Kleid mit Spaghettiträgern, das ideale Hauskleid zum Herumgammeln. Marius hasste es. Es sieht aus wie ein Militärzelt, hatte er gemault, wenn sie es mal anhatte. Dabei waren seine Freizeitschlabberhosen auch nicht besser.
Vom Balkon aus hatte sie einen wunderschönen Blick auf den See. Heute sah das Wasser fast türkisfarben aus, wurde mit der Entfernung heller und verlor sich blassblau in der Ferne. Etliche Segelboote waren unterwegs, und auch eines der Ausflugsboote verließ gerade hupend den Hafen. Die Kulisse hatte immer etwas von Urlaub: die Menschen, die Möwen, die Eisverkäufer, sie hätte auch an einem italienischen See sitzen können, irgendwo weit weg, aber sie hatte das Paradies direkt vor ihren Füßen an der Grenze zu Österreich und der Schweiz.
Liane mischte sich eine leichte Schorle, tat zwei Eiswürfel ins Glas, schaute auf die Uhr und stellte befriedigt fest, dass es fast zwölf war. Mittagszeit. Und sie hatte noch nichts Sinnvolles getan. Es war phantastisch! Sie legte zwei Kissen auf die beiden Holzstühle, stellte ihr Glas auf den kleinen runden Eisentisch, setzte sich bequem hin und ließ ihren Blick schweifen. Die Sonne wärmte sie, und Liane legte ihre Beine auf den anderen Stuhl. Es war Juli, und es wurde Zeit, dass sie endlich den Sommer einläutete. Sie hatte einige Geschäftsreisen hinter sich, davon allein drei nach Hongkong, zwei nach Schanghai und eine nach Peking, aber Sommerfeeling hatte sich bei ihr noch nicht eingestellt.
»Huhu, Lianchen …«
Oje, war ihr erster Gedanke. Sie schaute an ihren Füßen vorbei nach unten auf die Straße. Biggi winkte ihr zu. Biggi war eine echte alte Konstanzerin. Sie kannte hier jeden, zu jedem jede Geschichte, war bei der Fasnet und im Segelverein engagiert, backte Kuchen für das Kinderhospiz, hatte selbst vier Kinder, war rundlich, immer gut drauf, keine vierzig und Ehefrau aus Überzeugung.
»Was machst denn du da oben?«, rief sie durch die Menge, und natürlich drehten sich Köpfe zu ihr hoch, die vorher noch nicht einmal gewusst hatten, dass es dort im zweiten Stock überhaupt einen Balkon gab.
Liane wehrte mit einer Geste ab, aber es war schon zu spät. »Rudi richtet schon das Boot!«, rief sie. »Ich habe nur noch ein bisschen eingekauft.«
Okay, dachte Liane, das erklärte die drei prallen Einkaufstüten.
»Wollt ihr mitkommen?«
Ihr? Also war Biggi noch nicht im Bilde.
»Ich bin allein«, versuchte Liane so diskret wie möglich zu antworten.
»Wieso? Was ist passiert?«
Jetzt war Diskretion nicht mehr möglich. Einige der Passanten waren schon stehen geblieben. Die Deutschen hatten einfach eine verdammte Gaffermentalität.
Liane winkte ab.
»Dann kommst du allein mit!«
Es war klar, der Ton duldete keine Widerrede. Mit Biggi und Rudi auf dem Segelboot, vier Kinder dabei
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