Ich liebe mich... Sabrina (German Edition)
Seiten der Klinik geraten, möglichst keinen Besuch von zu Hause zu empfangen, weil das den Kurverlauf beeinträchtigen könnte. Telefonieren sei natürlich erlaubt - da haben wir ja Glück gehabt! , dachte ich missmutig.
Es sei selbstverständlich, dass abends ab zweiundzwanzig Uhr alle Patienten auf ihren Zimmern zu sein hätten, weil das Haus pünktlich abgeschlossen und das Haupt-Licht gelöscht werde - ist das hier ein Knast oder was? Samstags und sonntags hätten wir bis vierundzwanzig Uhr Ausgang. Wer im Ausnahmefall einmal später in die Klinik zurückkehren wolle, könne einen Tag vorher eine entsprechende Genehmigung im Büro beantragen. Wer gegen die Haus- und Behandlungsordnung verstoße, habe mit Konsequenzen zu rechnen. Diese, wurde uns erläutert, würden aus höheren Kostenbeteiligungen, bis hin zum Rausschmiss gehen. Im Fall der Kurverweisung würden die Krankenkassen von den schwarzen Schafen , wie Herr Seifert sich ausdrückte, die vollen entstandenen Kosten zurückfordern.
Im Raum breitete sich ernüchtertes Schweigen aus. Wow, das ist harter Tobak, dachte ich, schlimmer als im Schullandheim.
Frau Tannhaus nickte bedeutungsvoll in meine Richtung. Eine Augenbraue hochgezogen, feixte sie mir vertraulich zu. Ich musste schmunzeln, wie sie mir so gegenüber saß, wirkte sie nun doch wie jemand, der es faustdick hinter den Ohren hatte. Wirkte sie bisher eher bieder auf mich, so nahm ich jetzt an ihr eine Spur von Mädchenhaftigkeit wahr.
Mutierten wir hier tatsächlich alle wieder zu Schülerinnen in Jugendjahren? Grotesk, meine Gedanken, schalt ich mich und wies mich selbst zurecht. Sabrina, reiß dich zusammen, du bist hier, um deine Beschwerden behandeln zu lassen und nicht, um hier herumzujuxen!
Nachdem das Wesentliche gesagt war, standen alle auf, verließen schweigend den Raum und strebten ihren Zimmern zu. »Dann bis Morgen, Frau Tannhaus, schlafen Sie gut.« Wir nickten uns freundlich zu und ich sah noch auf den Listen am Schwarzen Brett nach, wann ich morgen mein Gespräch haben würde. Ich fuhr mit dem Finger über die Zeilen. Da war es. Ich las:
09:30 Uhr Hartmann /Dr. Sellig, Zimmer U 102
»Ich habe mir Ihre Befunde angesehen, Frau Hartmann, und einen Kurplan für Sie entworfen. Ich lese hier von Verdauungs- und Schlafstörungen, Nervosität, Magenkrämpfen, Kopfschmerzattacken und zeitweiligem Libidoverlust. Bei manchen Tiefdruck-Wetterlagen leiden Sie an Kurzatmigkeit. Alle Untersuchungen haben jedoch keinerlei Hinweise auf körperliche Ursachen ergeben. Unter häuslichem Stress leiden Sie auch nicht. Ihre Kinder sind aus dem Haus. Haben Sie irgendeinen Verdacht, was Ursache für diese Beschwerden sein könnte?« So leitete Frau Dr. Sellig ihr Gespräch mit mir ein und schaute mich fragend über den Rand ihrer Lesebrille an. »Haben Sie Eheprobleme oder drücken sie andere Sorgen, vielleicht finanzieller Art?«, kam sie direkt zur Sache.
»Nein, Frau Doktor, ich habe weder Eheprobleme noch finanzielle Sorgen, wie kommen Sie darauf?«
»Wir Mediziner haben zwar einen Namen für ihre Beschwerden, nämlich vegetative Dystonie , aber, was sich so präzise formuliert anhört, bedeutet in Wirklichkeit, dass keine organischen Ursachen zu finden sind. Das wiederum lässt nur den Schluss zu, dass wir uns ein wenig intensiver um Ihre Seele kümmern müssen. Wir werden Sie natürlich auch körperlich mit allerlei Anwendungen wie Gymnastik, Moorbädern, Massagen, Meditationstechniken usw. behandeln. Das wird Ihre Behandlung wirksam unterstützen.
Ebenso intensiv werden wir uns jedoch um Ihre seelische Verfassung kümmern müssen. Deshalb habe ich Sie, unter anderem, für Gespräche mit unserem Psychotherapeuten Herrn Sibelius eingetragen, wie auch für unsere Problemlösegruppe Lebenslagen - Lebenslügen. Die Gruppe beginnt morgen Abend im Gruppenraum 402 mit der Arbeit. Alle anderen Anwendungen habe ich hier in Ihren Kurlaufplan eingetragen. Sie sehen, Sie haben bereits in einer halben Stunde die ersten Anwendungen im Raum U118. Finden Sie sich dort bitte pünktlich ein. Wir sehen uns in einer Woche zum ersten Zwischengespräch, zur selben Zeit am selben Ort, wieder. Ich wünsche Ihnen eine schöne erste Woche in unserem Haus!« Mit diesen Worten begleitete mich Frau Doktor zur Tür, und die nächste Kurpatientin wurde aufgerufen.
Donnerwetter, das war kurz und bündig, dachte ich bei mir, schaute auf den Kurlaufplan und
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