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Ich mach mir Sorgen, Mama

Titel: Ich mach mir Sorgen, Mama Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wladimir Kaminer
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hingepisst, auf den Schreibtisch und so?«, erkundigte er sich.
    »Woher weißt du das?«, fragten wir ihn erstaunt.
    »Ich weiß es einfach«, er zuckte mit den Schultern.
    Wahrscheinlich war an der Theorie der Wiedergeburt doch etwas Wahres dran und unser Nachbar tatsächlich in seinem früheren Leben ein Kater gewesen, wie wir schon länger gemutmaßt hatten.
    Langsam kehrte wieder Ruhe in unsere Wohnung ein. Marfa machte einen zufriedenen Eindruck, sie saß auf dem Fernseher und vermisste ihren Freund Thomas kein bisschen. Ihr sexuelles Leben ging offensichtlich in eine neue Phase über: Sie wurde schwanger. Zumindest dachten wir das. Susanne, die Freundin von Karsten, meinte, wir sollten Marfa zur Sicherheit noch einmal dem alternativen Tierarzt vom Prenzlauer Berg zeigen, um uns zu vergewissern, ob mit der Katze alles in Ordnung war.
    Der Arzt schaute Marfa nur kurz in die Augen, wandte sich zu uns und sagte: »Ihre Katze ist schwanger.«
    »Danke, Doktor«, antworteten wir, »darauf sind wir auch selbst gekommen. Ist das alles, was Sie uns zu sagen haben?«
    Der Arzt überlegte kurz. »Sie wird ihre Babys wahrscheinlich in zwei Monaten bekommen, wie viele es werden, kann ich Ihnen aber noch nicht sagen. Irgendetwas zwischen zwei und sieben, schätze ich.«
    Für diese Auskunft kassierte er zehn Euro.
    Wir waren von der Leistung des Arztes nicht sehr beeindruckt, wussten jedoch nicht, was bei der Behandlung einer schwangeren Katze alles beachtet werden musste. Marfa benahm sich ruhig, guckte wie früher gerne die Harald-Schmidt-Show im Fernsehen, aß viel und wurde mit der Zeit ein wenig dicker. Zwei Monate später, wie der Arzt es prophezeit hatte, erbrach sie sich im Korridor und im Badezimmer und versteckte sich danach in unserem Kleiderschrank. Wir riefen Karsten an. »Es geht los«, meinte er.
    In dieser Nacht gingen wir nicht schlafen. Um drei Uhr kam das erste Baby zur Welt, um halb sechs das zweite. Unsere Katze wurde wieder ganz dünn, sah aber nicht besonders glücklich aus. Abends, dreizehn Stunden später, schaute Susanne bei uns vorbei und meinte: »Da muss noch ein drittes Baby irgendwo stecken, deswegen ist Marfa so unruhig.« Wir schnappten uns die Katze und rannten wieder zur Tierarzt-Praxis, die nur noch eine halbe Stunde offen hatte. Der alternative Arzt saß in seinem Büro und aß einen Apfel. Er hob Marfas Schwanz, darunter sah man etwas Rosiges.
    »Was ist das für ein Körperteil?«, fragte ihn meine Frau.
    »Das ist eine kleine Zunge«, antwortete der Arzt, »Sie haben es gerade rechtzeitig geschafft, eine Stunde später, und Ihre Katze wäre tot gewesen.«
    Keiner von uns hatte die Hoffnung, dass dieses Baby nach so vielen Stunden Dazwischensteckens noch am Leben wäre. Es war schon ganz blau, als der Arzt es aus Marfa herausholte. Doch der Doktor nahm diesen kleinen blauen Klumpen in die Hand, schleuderte ihn kräftig mehrmals durch die Luft, rieb ihn mit einem Betttuch ab, schüttelte und rüttelte ihn, bis der Klumpen anfing zu schreien. Danach kassierte der Arzt fünfzig Euro für die Operation und kehrte zu seinem Apfel zurück. Wir waren dieses Mal von seiner Leistung ganz begeistert: Marfa war am Leben, und alle drei Babys – zwei Mädchen und ein Junge – schienen gesund zu sein.
    Als sie zwei Wochen alt wurden, holte ich sie nacheinander aus dem Kleiderschrank und taufte die ersten zwei auf die Namen »Karsten« und »Susanne«, um unsere Nachbarn zu ehren und zu verewigen. Das Spätgeborene taufte ich auf den Namen »Angela Davis«, weil dieses Baby eine komische Frisur hatte, so als hätte man es jeden Tag durch die Luft geschleudert. Abgesehen davon machte Angela einen leicht bescheuerten Eindruck. Ihre Geschwister konnte nichts auf der Welt von der Mutterbrust ablenken, sie aber blieb jedes Mal irgendwo auf halber Strecke stecken. Auch später, als die Katzen sich aus dem Schrank in die große weite Wohnwelt trauten, war Angela Davis immer diejenige, die dauernd verschwand und ständig Hilfe brauchte.
    »Sie hat sich hinter dem Klo eingeklemmt«, riefen die Kinder, »wir müssen sie retten!« Am nächsten Tag hieß es: »Sie hat sich in die Gardine eingewickelt und findet nicht mehr raus! Schnell, wir müssen ihr helfen!« Diese Befreiungsaktionen für Angela Davis erinnerten mich stark an die Siebzigerjahre, als die Bilder dieser sympathischen Frau mit der unglaublichen Frisur alle sowjetischen Zeitungen schmückten, weil die bösen weißen Amerikaner sie in den Knast

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