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Ich mach mir Sorgen, Mama

Titel: Ich mach mir Sorgen, Mama Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wladimir Kaminer
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es in der Glotze außer Tom und Jerry noch ganz andere Gestalten gibt.

Werbung für Eltern
    Für die Erwachsenen mag Fernsehen keine Gefahr mehr darstellen, und jemand, der zum Beispiel eine Stefan-Raab-Show gesehen hat und aus dem trotzdem kein Mörder wurde, der ist gegen das Fernsehen sowieso geimpft. Ihn kann keine Sendung mehr aus der Fassung bringen.
    Ganz anders ist es bei kleinen Kindern. Sie haben noch keine große Fernseherfahrung und nehmen alles sehr ernst. Das kann Folgen für die ganze Familie haben. Einmal passten wir nicht richtig auf, während unsere Kinder eine Werbesendung auf dem Kinderkanal sahen. Eine halbe Stunde lang zeigte dort der Moderator verschiedene Puppen, Dollys und Mollys, und erzählte dazu mit süßlicher Stimme, was die eine und andere Puppe so alles machen könnte. Das war für unsere Kinder nichts Neues, jeder weiß, wie vielseitig die Puppen von heute sind, sie können praktisch alles. Nicht das Spielzeug selbst, sondern die Art der Berichterstattung darüber beeindruckte unsere Kinder. Es war immerhin die erste Werbesendung, die sie sahen. Sofort fingen sie an, selbst für alle Dinge, mit denen sie in Berührung kamen, Werbespots zu entwickeln.
    »Schauen Sie sich diese wunderbar eklige Nudel an«, sagte Nicole mit süßlicher Fernsehstimme beim Mittagessen, »man kann sie runterschlucken, aber auch ausspucken« – und dann spuckte sie eine Nudel gegen die Fensterscheibe.
    »Und mit diesem wunderbar fruchtigen Saft kann man auch Blumen gießen«, meinte Sebastian.
    Nach dem Essen gerieten meine Frau und ich in den Mittelpunkt ihrer Aufmerksamkeit. Sie fingen an, Werbung für Eltern zu machen. Als unsere Freundin Katja uns besuchte, bekam sie gleich einen Werbespot zu hören:
    »Mein Vater kann alles«, sagte Sebastian zu ihr, »er kann sogar im Stehen pinkeln.«
    »Nun, das ist aber wirklich nichts Besonderes«, seufzte Katja, »ich kenne viele Männer, die das können.«
    »Mein Vater aber«, ließ Sebastian nicht locker, »kackt auch im Stehen.«
    Diese Vorstellung verschlug Katja den Atem. »Das glaube ich nicht«, japste sie.
    »Doch, doch, das kann er«, bestätigte meine Tochter Nicole stolz.
    »Und meine Mutter«, erzählte Sebastian weiter, »hat riesige Löcher in ihren Ohren. Sie kann Schmuck, aber auch alle möglichen anderen Dinge da rein stecken.«
    Unsere Proteste, sie sollten keine Lügen über ihre Eltern verbreiten, beeindruckten die Kinder wenig. Ihre Werbesendung lief den ganzen Abend weiter.
    »Wer hätte gedacht, dass dieser harmlose Kinderkanal einen solchen Schaden anrichten kann«, meinte meine Frau bestürzt. Aber mit eiserner Hand stellten wir schließlich wieder Ruhe her und schickten die Kinder ins Bett. Nun dürfen sie nicht mehr Werbefernsehen, und auch die private Werbung für Eltern gilt bei uns in der Familie als Tabu.

Mein Vater, der Zyniker
    Mein Vater, so wie ich ihn kenne, war schon immer ein aufgeklärter Zyniker. In Bezug auf die Entwicklung der Menschheit war er sehr pessimistisch. Von der Liebe und anderen romantischen Dingen hielt er nichts. Seinen Zynismus predigte er gerne unter seinen Arbeitskollegen und Familienangehörigen. Ihm machte es Spaß, seine Umgebung über die miese Lage aufzuklären. »Die ganze Welt ist ein Eimer mit Dreck«, sagte er oft und gerne, »und wir alle müssen ununterbrochen in diesem Dreck hin und her schwimmen, um nicht unterzugehen.«
    Auch seine politischen Ansichten waren durch seine negative Weltanschauung geprägt. Sein Zynismus hatte ihn zu einem ewigen Dissidenten gemacht. Mein Vater verabscheute den Sozialismus und hielt die sozialistische Planwirtschaft für Beschiss. Als der Sozialismus kippte und die freie Marktwirtschaft das Land eroberte, wurde der Kapitalismus von meinem Vater auf dieselbe Art und Weise verurteilt. Doch am meisten forderten die Nachrichtensprecher im Fernsehen seine Boshaftigkeit heraus. Er wurde nicht müde, ihre Scheinheiligkeit zu entlarven. Es stand für ihn außer Frage, dass die Nachrichtensprecherin der Abendschau mit dem Fernsehdirektor schlief und nur deswegen diesen tollen Job bekommen hatte.
    »Guck dir mal ihre Brüste an«, sagte mein Vater jedes Mal zu mir, wenn wir vor dem Fernseher saßen, »ohne diese Brüste wäre sie nie zu solch einem Job gekommen.«
    Ich konnte auf dem Bildschirm gar keine Brüste erkennen. Selbst die Nachrichtensprecherin war kaum zu sehen, weil wir einen alten, halb kaputten Schwarzweißfernseher besaßen und der Empfang in unserem

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