Ich mag dich immer noch, wie du bist - Liebe ist nicht die Antwort, sondern die Frage: Ich mag dich immer noch, wie du bist
etwa?«, fragt er mich leise, nachdem er sich ganz nah zu mir gebeugt hat.
»Nein, Papa.«
»Wie geht es Luca?«, fragt er mich in einem seltsam verschwörerischen Ton.
»Dem geht’s gut.«
»Seid ihr immer noch zusammen?«
»Sicher sind wir zusammen, warum fragst du?«
»Ach, nur so.«
»He, ihr beiden, wollen wir jetzt das Interview machen oder nicht?«, schreit jemand, der hinter meinem Vater steht.
In der folgenden halben Stunde trage ich die Meinungen von allen anwesenden Arbeitern zusammen, und dazu noch einiges Material, das mir einer der Gewerkschaftler in die Hand drückt. Inzwischen ist es sieben Uhr abends und draußen ist es schon stockdunkel.
»Jetzt solltet ihr besser gehen«, sagt mein Vater zu mir.
Es kommt mir seltsam vor, ihn dort zurückzulassen. Ich fühle mich ein bisschen wie in dem Film Billy Elliot , wo der Vater Bergarbeiter ist und streikt und der Sohn unbedingt zum Ballett will.
Als wir gehen wollen, wir sind schon an der Tür, passiert plötzlich etwas Unvorhergesehenes. Ein blauroter Lichtschein fällt plötzlich auf die dunkle Scheibe der Eingangshalle. Und sofort kommen andere Lichter hinzu, man hört Bremsen quietschen und Motorengeräusch.
Vor dem Tor stehen vier Streifenwagen der Polizei.
Sofort sind ein Dutzend Arbeiter draußen und bauen sich hinter dem Tor auf. Guido und ich folgen ihnen. Er fotografiert weiter.
»Das wird ein Superknüller!«, ruft er aus, und angesichts der Umstände klingt er ein wenig zu begeistert. »Und dieser blöde Journalist kann vergessen, dass wir ihm den geben!«
Der ranghöchste Polizist erklärt ganz ruhig, dass die neuen Eigentümer der Fabrik aus Deutschland alle Forderungen akzeptiert haben und die Fabrik nicht schließen werden.
Diese Nachricht wird sofort mit heftigem Beifall aufgenommen. Mein Vater, der neben mir steht, wirkt nicht so begeistert.
»Die Verhandlungen«, erklärt der Inspektor, »werden an einem anderen Ort geführt. Aber jetzt müssen alle das Fabrikgelände verlassen.«
»Mit anderen Worten: Es wird geräumt«, sagt mein Vater leise.
»Was willst du damit sagen?«, frage ich ihn.
»Das riecht nach Beschiss«, flüstert er, und dann ruft er laut: »Und welche Garantien haben wir, dass unsere Forderungen auch wirklich angenommen wurden?«
Der Inspektor mustert die Menge, bis er den Augen meines Vaters begegnet.
»Meine Herrschaften, machen wir das Ganze nicht komplizierter, als es ist. Ich bin als Botschafter hier, mit guten Nachrichten. Ich sage euch gerade, ihr könnt alle nach Hause gehen zu euren Familien. Bald ist Weihnachten und sie werden froh sein, euch wieder bei sich zu haben, oder?«
»Wo sind denn diese Deutschen?«, fragt ein anderer Arbeiter.
»Zu Hause, aber nächste Woche wird eine Generalversammlung einberufen, in der jeder seine Meinung äußern kann. Also?«
Nach diesen Worten erhebt sich unter den Arbeitern eine erregte Auseinandersetzung. Manche sagen, man sollte jetzt besser gehen, es wäre sinnlos, länger zu bleiben. Andere meinen, das sei ein Trick, darunter auch mein Vater.
Guido hat sich die ganze Zeit nicht von der Stelle gerührt und hält die Digitalkamera auf die Szene gerichtet.
»Was machst du da?«, frage ich ihn.
»Ich filme, so haben wir für alles Beweise.«
Die Diskussion mit dem Inspektor dauert eine Weile, bis der plötzlich verstummt und weggeht. Inzwischen ist auch das Fernsehen gekommen. Die Reporter drängen sich sofort um den Inspektor.
Kurz darauf versammelt sich eine Menschenmenge vor dem Tor, darunter auch viele Verwandte.
»Ali!«, schreit jemand aus der Menge. »Alice!«
Ich gehe zum Tor, um festzustellen, wer das ist, und sehe den Kopf meines Bruders zwischen zwei Polizisten auftauchen.
»Was machst du hier, Fede?«
»Was machst du denn hier?«
Hinter ihm steht meine Mutter. »Alice, was machst du noch hier?«, fragt sie mich besorgt. »Los, komm mit uns.«
Ich will ihr gerade antworten, als ein Blitzlicht kurz das Gesicht meines Bruders und meiner Mutter beleuchtet. Ich drehe mich um: Es ist Guido.
»Hast du das etwa fotografiert?«, frage ich ihn und versuche, nicht zu zeigen, wie wütend ich darüber bin.
»Tut mir leid, aber das ist ein Eins-a-Foto für die Titelseite!«
Meine Mutter und Federico werden vom Polizeikordon zurückgeschickt, während die Auseinandersetzung zwischen den Arbeitern immer heftiger wird.
»Es lohnt sich nicht, dass ihr so einen Aufstand macht«, sagt der Polizeiinspektor. »Wenn wir jetzt alle
Weitere Kostenlose Bücher