Ich mag dich immer noch, wie du bist - Liebe ist nicht die Antwort, sondern die Frage: Ich mag dich immer noch, wie du bist
keinen Grund hat, mich reinzulegen.
Im Laufschritt erreiche ich die Schule und winke Nicola, dem Hausmeister, zu, der mich spaßeshalber anfeuert, als wäre ich ein Marathonläufer kurz vor dem Ziel. Als ich die Tür des Raums öffne, verstummt Roberta kurz und wirft mir einen vernichtenden Blick zu. Wahrscheinlich glaubt sie immer noch, dass ich auf ihren Posten scharf bin.
»Also, in der Dezemberausgabe«, fährt Roberta fort, »wird es keine Artikel über Weihnachten oder solchen Mist geben. Es gibt Wichtigeres, worüber man berichten muss.«
Die drei vom Winx-Club in der ersten Reihe schnauben enttäuscht, während Guido die Szene nicht sehr aufmerksam verfolgt. Ich setze mich neben ihn.
»Hallo«, sage ich leise. »Ich habe den Journalisten getroffen, ich muss nachher unbedingt mit dir reden.«
Er nickt lächelnd.
»Also, diese Ideen sind bis jetzt herausgekommen«, fährt Roberta fort und zeigt auf die Tafel.
Dort steht eine Liste mit ungefähr zehn Punkten, unter denen ich schnell einige Schlüsselwörter erkenne: Krieg, Protestdemonstrationen in Teheran, Attentat, Reformen, Politskandal, Reality Show. Das Ganze ist nicht gerade prickelnd, da bin ich mit den Winx einer Meinung. Andererseits gebe ich Roberta recht: Man kann kein »Weihnachtsspecial« machen.
»Entschuldigt, was wäre, wenn wir eine Mischung aus beidem machen?«
Die Worte sind mir entschlüpft, ehe ich es gemerkt habe. Eigentlich habe ich laut gedacht. Was Roberta überhaupt nicht mag.
»Eine Mischung woraus?«, fragt sie mich mit offenkundiger Feindseligkeit. Schweigen legt sich über den Raum. Irgendjemand im Hintergrund kichert. Guido sieht mich neugierig an.
»Ich dachte, dass man ja all diese Themen behandeln könnte, aber eben unter dem großen Aspekt Weihnachten. Also, das ist jetzt nicht besonders originell, ich weiß, aber eben so was wie Weihnachten in Kriegsgebieten, vielleicht ein Interview mit den Leuten von einer Hilfsorganisation, oder Weihnachten im Fernsehen oder so etwas.«
Niemand sagt ein Wort, alle warten auf Robertas Antwort, während Guido mich lächelnd ansieht.
Ihm gefällt der Vorschlag.
»Hmm«, meint Roberta, und sofort erhebt sich ein Raunen im Raum, das langsam lauter wird, bis schließlich alle gleichzeitig reden.
»Ja, gut«, schreit Roberta über den Lärm hinweg. »Alices Vorschlag ist angenommen. Jetzt legen wir fest, wer welchen Artikel schreibt.«
37 Luca
Ein Sonnenstrahl fällt mir direkt ins Gesicht. Ich brauche eine Weile, um zu begreifen, wo ich bin. Ich drehe mich im Bett um und mir wird klar, dass das Bett ein Sofa ist. Das Licht dringt durch einen Spalt zwischen zwei dicken Vorhängen direkt vor meiner Nase.
Martina steht kurz nach mir auf. Sie wirkt ziemlich benommen. Wir haben gestern bis spät in die Nacht geredet, über mich, über Alice, über Daniele, über den Song, dessen Text sie mir nicht verraten wollte.
»Was wirst du Alice erzählen, wenn du wieder in Mailand bist?«, frage ich sie, während wir das Hotel verlassen.
»Dass du ein Idiot bist, aber nichts getan hast, bis jetzt jedenfalls nicht.«
»Komm, du musst versuchen, sie zur Vernunft zu bringen.«
»Ich versuch’s, aber … Den Rest musst du selbst hinbekommen.«
»Wann spielst du mir diesen Song vor?«
»Mal sehen«, antwortet sie und lächelt geheimnisvoll.
Wir beschließen, uns einen Tag Sightseeing zu genehmigen. Deshalb kehren wir zum Hafen zurück, wo wir gestern Abend gegessen haben, und leihen uns zwei Fahrräder. Man hat uns gesagt, das sei die beste Art, um die Golden Gate Bridge zu entdecken.
Während wir hintereinander in die Pedale treten, denke ich an unser seltsames Gespräch von gestern Abend. Ein Teil meines Hirns ist mit anderen Sorgen beschäftigt. Die Uni, meine Zukunft, der immer stärkere Verdacht, dass ich eine Dummheit gemacht habe. Morgen werde ich noch einmal zur Fakultät zurückkehren, um zu sehen, ob es nicht doch eine Möglichkeit gibt, mich trotz der abgelaufenen Frist zu bewerben.
Nachdem wir den ganzen Fahrradweg am Meer entlang zurückgelegt haben, radeln wir eine ziemlich steile Straße hoch, die uns nach mehreren Kurven an die Auffahrt zur Golden Gate Bridge bringt. Hinter einem Dutzend anderer strampelnder Touristen überqueren wir die Brücke, bis es dann bergab geht. Nach der Brücke erreichen wir etwa zehn Minuten später einen kleinen Ort: Sausalito. Ein altes Fischerdorf, das zum Teil direkt über dem Wasser errichtet ist und jetzt in eine Touristenattraktion
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