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Ich pfeife auf den Tod!: Wie mich der Fußball fast das Leben kostete (German Edition)

Ich pfeife auf den Tod!: Wie mich der Fußball fast das Leben kostete (German Edition)

Titel: Ich pfeife auf den Tod!: Wie mich der Fußball fast das Leben kostete (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Babak Rafati
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Verantwortung übernehmen und mit 22 verschiedenen Charakteren umgehen können muss und nicht den Überblick verlieren darf – und wie viel Spaß mir das alles mache. Das kam an. Ich hätte nie gedacht, dass ich mit Fußball in einer Bank punkten könnte. Ich hatte die Lehrstelle. Einer gegen 2100 Bewerber. Danke, Fußball! Danke, Sparkasse Hannover!
    Mit 27 bin ich von zu Hause ausgezogen – in meine erste Eigentumswohnung. Auch dieses Ziel hatte ich erreicht: nie mehr Miete! Alles hatte ich bekommen, wovon ich geträumt hatte: Sicherer Job. Gutes Einkommen. Erfolge im Sport. Es ging bergauf. Damals federte ich jeden Morgen nach gutem Schlaf förmlich aus dem Bett und freute mich riesig auf jeden Tag mit seinen Herausforderungen.
    ■ ■ ■

Es waren Jahre des kontinuierlichen Aufstiegs. Was ich anfasste, funktionierte und wurde ein Erfolg. Irgendwann fing ich an, das als selbstverständlich anzusehen. Ich war tüchtig, clever – es stand mir zu, dachte ich. Dass auch das Glück des Tüchtigen äußerst flüchtig sein kann, ahnte ich damals noch nicht. Ich war geblendet vom Erfolg.
    Als ich im Juli 2005 als Schiedsrichter in die Bundesliga aufstieg und das erste Spiel in Köln pfiff, hatte sich der nächste Jugendtraum für mich bewahrheitet, auf den ich über 19 Jahre hingearbeitet hatte. In die Bundesliga will jeder Schiedsrichter, aber du kannst noch so streben, machen und tun – wer am Ende tatsächlich in die Bundesliga aufsteigt, das entscheidet allein die Schiedsrichterkommission. Der Kandidat wird empfohlen. Das Urteil über den Kandidaten muss einvernehmlich fallen, und das war bisher auch immer so passiert. In die Gilde der Schiedsrichter wirst du also berufen. Die Berufung ist etwas ganz Besonderes, eine Auszeichnung, eine Ehre – wie ein Schwertschlag zum Ritter.
    Der Vorstandsvorsitzende meines Arbeitgebers der Sparkasse Hannover, Herr Walter Kleine, rief mich damals persönlich an und gratulierte mir zu der Nominierung als Bundesligaschiedsrichter. Er richtete mir im Namen des Vorstandes aus, dass ich die volle Unterstützung habe, da ich nunmehr ab sofort ein Aushängeschild der Sparkasse Hannover sei. Man war stolz auf mich.
    Ich war in einem Alter von 35 Jahren nunmehr im Elitekreis des deutschen Fußballs angelangt. Nun stand mir das Tor für eine internationale Karriere offen. FIFA, Champions League, Europameisterschaft, Weltmeisterschaft – warum nicht? Ich hatte neue Ziele.
    # # # 19.11.2011, 3:10 Uhr # # #
    Die Digitaluhr in meinem Zimmer blinkte immer noch im Sekundentakt wie der Countdown eines Zeitzünders. 3:10 Uhr – es waren gerade einmal zehn Minuten vergangen, in denen ich meine ganze Jugend durchflogen hatte, und ich war nach all diesen schönen Gefühlen entsprechend überrascht, dass ich plötzlich wieder an dieser kalten Fensterscheibe eines Kölner Hotels klebte und in die Dunkelheit hinausstarrte. Zehn Minuten nach drei und noch über zwölf Stunden bis zum Spiel. Wenn ich daran dachte, wie optimistisch und stark ich in meiner Jugend gewesen war, und wenn ich mich jetzt sah, wie labil und entscheidungsschwach ich in allem geworden war … Einen so weiten Weg hatte ich zurückgelegt. So weit war ich gekommen. Sollten all die Mühen umsonst gewesen sein? Ich spüre, wie mir die Tränen in die Augen schossen. Mit dem heutigen Spiel lief ich Gefahr, wieder alles zu verlieren.
    Ich war der erste Schiedsrichter mit Migrationshintergrund in der Bundesliga. Meine Eltern sind Perser – ich selbst habe als Kind viele Jahre in der Nähe von Teheran verbracht, bis Deutschland meine neue Heimat wurde. Meine Familie ist stolz darauf, wie weit ich es hier in Deutschland gebracht habe. Mein Onkel, ein Arbeiter in einer Autofabrik, hat seinen Kollegen in den Pausen immer die BILD-Zeitung gezeigt mit den Berichten über mich und die Spiele, die ich geleitet habe. Ich war wie ein Sohn für ihn. Selbst von fernen Bekannten aus Teheran kamen Anrufe, wenn sie mich über Satellit in einem Spiel gesehen hatten.
    Ich war der Beweis, dass man seinen Platz in dieser Gesellschaft finden kann und Tüchtigkeit belohnt wird. Mensch, Babak, du hast doch so viel erreicht! Babak, du wirst dich doch jetzt nicht verrückt machen und dich aufgeben vor diesem Spiel? Du kannst es doch. Du weißt doch, wie es geht …
    … Nein, ich weiß es eben nicht mehr. Seit Monaten schon nicht mehr. Ich weiß nicht einmal mehr, wer ich wirklich bin. Aus mir ist ein Schauspieler geworden, in einem fragwürdigen Stück,

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