Ich pfeife auf den Tod!: Wie mich der Fußball fast das Leben kostete (German Edition)
Zeugen zu mir gesagt: Halt die Fresse.« Eine mit Rot zu ahndende Tätlichkeit hatte Fandel in dem turbulenten Spiel sogar völlig übersehen. Es war eine ungewöhnliche Flut von ungewöhnlichen Strafen, bei der sich Fandel – wie von mir gefordert – ebenso die Frage nach seiner Mitschuld hätte stellen müssen. Nach dem Spiel sagte Fandel damals voller Überzeugung in die Fernsehkameras: »Es war ein Spiel mit ungewöhnlicher Härte, das muss ich zugeben, aber aus meiner Sicht, auch wo ich jetzt Zeit hatte, ein bisschen drüber nachzudenken, denke ich, dass die Platzverweise alle in Ordnung waren.« Das kann man sich heute noch auf Youtube anschauen. Großes Kino. In Wahrheit ging es ihm schlecht, wie er später einmal auf einer Schiedsrichtertagung erzählte: »Ich hatte das Gefühl, einen Skandal verursacht zu haben und nicht in die Bundesliga zu gehören, ich war fix und fertig.« Nur durch die Unterstützung Roths habe er sich damals »berappelt«. Genau diese Unterstützung, die er von seinem Obmann Roth bekommen hatte, fehlte mir jetzt. Fandel versagte sie mir nicht nur komplett. Er griff mich an. Ich fühlte mich ungerecht behandelt. Fandel beendete seine aktive Karriere laut Wikipedia, unter Bezugnahme auf www.weltfussball.de, mit einer Bilanz von 1041 Gelben Karten, 47 Mal Gelb-Rot und 26 Mal zog er die Rote Karte – vier davon gegen den SSV Ulm.
Nach solchen Druckgesprächen wie mit Fandel dürfte es jedem schwerfallen, ruhig zu bleiben. Ich war zudem völlig perplex. Fandel, der mich früher oft als souveränen Schiedsrichter mit einer stark ausgeprägten Persönlichkeit gelobt hatte, verhielt sich mir gegenüber plötzlich wie ein völlig anderer Mensch. Roth baute einen auf. Fandel ließ mich im Vergleich dazu fallen. Ohne jedes Mitgefühl, so mein Empfinden, und ohne jedes Verständnis. So wie beim Sommerlehrgang, als ich nach dem Muskelfaserriss auf dem Boden lag und er nur sagte: »Och, was machste, Jung?« und einfach weiterging. Ich wusste damals noch nicht, was sich seit dem Machtwechsel alles geändert hatte im System Schiedsrichter. Fandel hatte mir vor der Machtübernahme einmal angedeutet, ich hätte große Feinde im DFB – ohne Namen zu nennen. Aber ich hatte dem wenig Bedeutung beigemessen. Später erst würde ich begreifen, dass ich mit diesen drei Gelb-Roten Karten nicht nur die Liga gegen mich aufgebracht hatte, sondern offenbar auch deren Interessenvertreter Hellmut Krug. Mit dem Abgang von Volker Roth war die Betondecke über uns Schiedsrichtern plötzlich fort, die uns vor solchen Einflussnahmen immer geschützt hatte.
Nach einem Spieltag rufen sich die Schiris untereinander an, um von den Eindrücken ihrer Spiele und dem, was sie im Flurfunk gehört haben, zu berichten. Meistens »klopfte« mein Telefon mehrfach, während ich gerade mit einem anderen sprach, weil der nächste schon wieder auf der Leitung stand. Es war immer wie ein Bienenstock. Ich schilderte einigen, die natürlich nicht genannt werden wollen, irritiert mein Gespräch mit Fandel und hörte nur bitteres Lachen im Hintergrund. Fandel sei halt so. Er müsse erst mal drei Semester Sozialkompetenz studieren, sagten mir mehrere Topschiris. Entschuldigungen ließe er nicht gelten. Ein Fandel mache keine Fehler. Und wenn, sei er nicht schuld.
Bekannt war auch, wie emotionslos Fandel gegen alle ehemaligen Mitstreiter seines einstigen Ziehvaters Volker Roth vorging. Die gesamte Schiedsrichterschaft erinnerte sich zu gut, wie Fandel sich kurz nach seiner Machtübernahme des einst so verdienten Schiedsrichters Dieter Pauly entledigt hatte. Pauly war eine Legende, aber das zählte alles nicht im System Fandel-Krug. Am 30. Mai 1981 war das berühmte »Sportfoto des Jahres 1981« entstanden, als Torwart Toni Schumacher im Dortmunder Westfalenstadion auf Pauly zugerannt war und die beiden sich bei einer Größe von annähernd zwei Metern Nase an Nase gegenüberstanden. Pauly hatte zwischen 1980 und 1990 exakt 100 Bundesliga- und 67 internationale Spiele bestritten und am 21. August 1990 als erster Schiri sein eigenes Abschiedsspiel auf dem Gladbacher Bökelberg gegen Ajax Amsterdam erhalten. Danach wurde er unter Roth weiter national wie auch international als Schiedsrichterbeobachter bei Spielen eingesetzt. Pauly galt als Volker-Roth-Mann und falls es eine solche gab, dürfte er nach dessen Entmachtung auf der roten Liste von Fandel und Krug gewesen sein. Bei einer internen Sitzung sagte Hellmut Krug sinngemäß, dass alles
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