Ich pfeife auf den Tod!: Wie mich der Fußball fast das Leben kostete (German Edition)
einzigen Elfmeter gegeben zu haben. Ich war scharf auf jedes Spiel. Fußball war meine Berufung.
Aber zurück zu meinen Anfangszeiten. Am Ende des Monats war für die Schiris im Kreis immer Besprechung mit dem sogenannten Ansetzer, der die kommenden Spiele mit Schiedsrichtern besetzte. Bei uns war das damals eine der wenigen Frauen im System Schiedsrichter, Obfrau Elke Neubauer, eine freundliche Dame mit einer rauchigen Stimme. Die sagte dann: »Ich habe jetzt noch fünf Spiele offen. Wer Lust hat, kann nach vorne kommen.« Ich war immer der Erste, der aufsprang, und darauf wartete sie förmlich und lächelte: »Der Babak pfeift alles, was er kriegen kann.« Das war respektvoll gemeint und eine völlig richtige Einschätzung. Neues Spiel, neues Glück und eine neue Herausforderung. Ich habe lieber in der C-Jugend gepfiffen, wo die Schüler älter und größer waren als ich und ich mir den Respekt erst verdienen musste, als in der Pampers-Liga, wo die Fünfjährigen spielten, die leicht zu handhaben waren. Natürlich hatte ich auch Spiele, wo ich Fehler gemacht habe. Aber da war noch alles spielerisch leicht und jeder Fehler war die Einladung, besser zu werden. Und ich wurde besser von Spiel zu Spiel.
Elke Neubauer wusste: Den Babak kann ich auch nachts anrufen. Der kommt und pfeift. Wenn ich bei meiner Freundin übernachten wollte, gab ich meinem Vater vorher die strikte Anweisung, mich bei einem Anruf von Frau Neubauer umgehend und unter allen Umständen zu benachrichtigen. Damals gab es noch keine Handys, sondern grüne Telefone mit Wählscheibe! Manchmal war es für meinen Vater wirklich schwer, mich ausfindig zu machen, und er musste einige Male die Scheibe drehen, bis er mich dran hatte, was seine Fußballbegeisterung nicht eben gefördert hat.
Meine Begeisterung hingegen war nicht zu bremsen. Jedes Wochenende auf Tour. An manchen Wochenenden waren es zwei, sogar drei Spiele. Eines am Samstagnachmittag, eines am Sonntagvormittag und eines am Sonntagnachmittag. Bei Wind und Wetter, bei Regen, Hitze und Schnee. Pro Spiel gab es damals 10 D-Mark plus Fahrtkosten. Meine Sportsachen habe ich selbst gezahlt. Jede Saison ein neues Set, weil ich auf dem Platz gut aussehen und meine Wirkung verstärken wollte. Das war weniger Eitelkeit als die Erkenntnis, dass gute Kleider tatsächlich Leute machen und Respekt verschaffen. Ein Schiedsrichter soll eine Respektsperson sein und muss äußerst seriös wirken und sich deutlich von den Spielern absetzen. Wer also auf den Brilli im Ohr und die Elvistolle nicht verzichten will und gerne Knoblauch isst und rote Schuhe anzieht, wird es schwer haben, egal, wie gut er pfeift. Der Auslesedruck ist so hoch, dass man nie erleben wird, dass so ein bunter Vogel nach oben kommt. Ein frühes Bewusstsein für Außenwirkung ist wichtig. Man glaubt zum Beispiel gar nicht, wie viele Schiedsrichter Brillenträger sind – und trotzdem sieht man keinen mit Brille pfeifen. Hohn und Spott wären die Folge: »Schiri, biste blind? Setz doch mal die Brille richtigrum auf!« Aus diesem Grund tragen die Betroffenen auf dem Platz lieber Kontaktlinsen und jeder hofft, dass er nicht auffliegt.
Meiner Schiedsrichtertätigkeit damals habe ich sehr viel zu verdanken. Ich kam herum und hatte viele glückliche Stunden zusammen mit anderen Jugendlichen, alles wertvolle Erfahrungen, die meine Persönlichkeit formten. Ich lernte Sozialkompetenz, Gerechtigkeitssinn, Verantwortungsbewusstsein, Entscheidungsfreudigkeit, Kommunikationsfähigkeit, aber auch Dinge wie Selbstkritik und Selbstreflexion sowie Krisenmanagement. Ich erfuhr, wie wichtig ein grundlegendes Wertesystem ist, ein Gerechtigkeitssinn, der dir sagt, was richtig ist und was falsch – und: dass du die Regeln einhalten musst. Denn als Schiedsrichter ist man Schnellrichter und muss alle paar Sekunden Entscheidungen treffen, die nicht immer auf Zufriedenheit stoßen. Und vor allem: nicht immer fehlerfrei sind. Dein Tun muss transparent und nachvollziehbar sein. Daher benötigt man diese Attribute in der Gesamtheit. Solche Eigenschaften lernt man in dieser Komplexität auf keinem Seminar. Meine Schule war die harte Wirklichkeit des Fußballplatzes, die dich zwingt, dir diese Eigenschaften möglichst dynamisch und in einer sehr komprimierten Art und Weise anzueignen. Es waren Erfahrungen, die mein ganzes weiteres Leben bestimmen und mich auf meinem weiteren Weg unterstützen würden, mich jeder Herausforderung zu stellen.
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Ein zweiter
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