Ich schreib dir morgen wieder
standen Rosaleen und Arthur, die sicher schon Gott weiß wie lange auf uns warteten, denn inzwischen hatten wir fast eine Stunde Verspätung. Wahrscheinlich hatten sie sich vorgenommen, uns ganz locker und ungezwungen zu empfangen, aber als sie unsere Gesichter sahen, ließ sich die Scharade nicht mehr aufrechterhalten. Da wir nicht gewusst hatten, dass wir schon direkt vor dem Torhaus waren, befanden wir uns in einem reichlich desolaten Zustand. Barbara und ich hatten rote Augen vom Weinen, Mum saß mit grimmigem Gesicht auf dem Beifahrersitz, meine Haare waren völlig zerzaust – na ja, sagen wir mal, noch zerzauster als gewöhnlich.
Wahrscheinlich war dieser Moment für Arthur und Rosaleen ziemlich schwierig, aber ich war so mit mir selbst und meinem Widerwillen gegen diesen Umzug beschäftigt, dass ich keinen Gedanken daran verschwendete, was sie auf sich nahmen – sie stellten ihr Heim zwei Menschen zur Verfügung, zu denen sie eigentlich gar keine Beziehung hatten. Das muss unglaublich aufreibend für sie gewesen sein, aber ich kam kein einziges Mal auf die Idee, mich zu bedanken.
Barbara und ich stiegen aus. Sie ging zum Kofferraum, um das Gepäck zu holen, und vermutlich auch, um uns die Gelegenheit zu geben, uns in Ruhe zu begrüßen. Aber so lief es nicht: Ich blieb wie versteinert stehen, starrte Arthur und Rosaleen an, die sich ihrerseits keinen Schritt hinter ihrem grünen Gartentörchen hervorwagten, und wünschte mir, ich hätte Brotkrümel auf dem Weg von Killiney bis hierher ausgestreut, damit ich den Weg zurück nach Hause finden konnte.
Hektisch wie ein Erdmännchen blickte Rosaleen von einem zum andern und versuchte offenbar, gleichzeitig das Auto, Mum, mich und Barbara ins Visier zu bekommen. Dabei verschränkte sie abwechselnd die Hände vor der Brust und löste sie wieder, um sich das Kleid glattzustreichen – absurde, fahrige Gesten, die mich an ein Mädchen erinnerten, das sich zur Kirmeskönigin wählen lassen will. Schließlich raffte Mum sich auf, öffnete die Autotür und stieg aus. Zögernd setzte sie einen Fuß nach dem anderen auf den Kies, aber als sie zum Torhaus hochblickte, verschwand auf einmal der Zorn aus ihrem Gesicht, und sie lächelte, dass ihre mit Lippenstift verschmierten Zähne blitzten.
»Arthur!«, rief sie und breitete die Arme aus, als wäre sie selbst die Gastgeberin und würde ihren Bruder an ihrer Haustür zu einer Dinnerparty empfangen.
Arthur schleimschnaubte, atmete den Rotz tief ein – das erste Mal, dass ich diese Art der Kommunikation miterlebte –, und ich rümpfte unwillkürlich die Nase. Dann trat er auf Mum zu. Sie ergriff seine Hände und sah ihn mit zur Seite geneigtem Kopf an, während das seltsame Lächeln noch immer an ihren Lippen zog wie ein schlechtes Lifting. Mit einer linkischen Bewegung beugte sie sich vor und legte ihre Stirn an seine. Arthur ertrug die Berührung eine Millisekunde länger, als ich es von ihm erwartet hätte, dann tätschelte er Mums Nacken und wandte sich ab, um mir einen Klaps auf den Kopf zu geben wie einem treuen Collie, was meine Haare noch mehr durcheinanderbrachte. Schließlich ging er zum Kofferraum, um Barbara mit dem Gepäck zu helfen. So blieben Mum und ich mit Rosaleen allein und konnten uns ungestört anstarren, nur starrte Mum nicht mit, sondern atmete mit geschlossenen Augen die frische Luft ein und lächelte weiter. Trotz der deprimierenden Situation hatte ich in diesem Moment das Gefühl, dass der Umzug Mum guttun könnte.
Damals habe ich mir nicht so viele Sorgen um sie gemacht wie heute. Seit Dads Begräbnis war erst ein Monat vergangen, und wir fühlten uns beide noch wie betäubt und unfähig, viel miteinander – oder auch mit anderen – zu sprechen. Die meisten unserer Bekannten waren so damit beschäftigt, uns nette Dinge, taktlose Dinge oder was ihnen sonst so in den Kopf kam, zu sagen – manchmal kam es mir fast so vor, als müssten wir
sie
trösten, statt umgekehrt –, dass Mums Verhalten gar nicht weiter auffiel. Genau wie alle anderen seufzte sie gelegentlich und ließ hier und da ein paar passende Worte fallen. Eigentlich ist eine Beerdigung wie ein Spiel. Man muss einfach mitmachen, das Richtige sagen, das Richtige tun und ansonsten abwarten, bis es vorbei ist. Freundlich sein, aber auch nicht zu viel lächeln, traurig aussehen, aber nicht zu traurig – man möchte ja nicht, dass die Familie sich noch schlechter fühlt –, Hoffnung verbreiten, aber nicht so, dass der
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