Ich schreib dir morgen wieder
die Implantate nicht ganz unschuldig. Jedenfalls drückte ich sie noch einmal ganz fest und schloss die Augen, aber sie ließ mich ein bisschen früher los, als ich mir gewünscht hätte, und so taumelte ich etwas unsanft zurück in die Realität.
»Okay«, sagte sie, während sie Zentimeter um Zentimeter zurück zu ihrem Auto schlich, bis sie die Hand auf den Türgriff legen konnte. »Ich möchte da drin nicht stören, sag ihnen bitte …«
»Kommt rein, kommt rein«, unterbrach uns Rosaleens Stimme aus dem Dunkel der Hexenhausdiele und vereitelte Barbaras Vorhaben. »Hallo, ihr beiden«, fuhr sie fort, und Rosaleen erschien an der Tür. »Wie wär’s mit einem Tässchen Tee? Tut mir leid, aber ich weiß gar nicht, wie Sie heißen. Jennifer hat uns nicht miteinander bekanntgemacht.«
Daran würde sie sich gewöhnen müssen. Es gab eine ganze Menge Dinge, um die Jennifer sich zurzeit nicht kümmerte.
»Ich bin Barbara«, antwortete Barbara, und ich sah, wie sie den Türgriff noch ein bisschen fester umklammerte.
»Barbara«, wiederholte Rosaleen, und ihre grünen Augen schimmerten wie bei einer Katze. »Ein Tässchen Tee, ehe Sie heimfahren, Barbara? Es gibt auch frische Scones und hausgemachte Erdbeermarmelade.«
Barbaras Gesicht war zu einem Lächeln erstarrt, während sie sich den Kopf nach einer Ausrede zermarterte.
»Sie kann keinen Tee mit uns trinken«, antwortete ich für sie. Erst dankbar und dann schuldbewusst sah Barbara mich an.
»Oh …« Rosaleen machte ein langes Gesicht, als hätte ich ihr gerade ihre Teeparty verdorben.
»Sie muss möglichst schnell heim und ihren Gesichtsbräuner abwaschen«, erklärte ich. Wie gesagt, ich bin ein schrecklicher, schrecklicher Mensch, und obwohl Barbara ja eigentlich nicht für mein Unglück verantwortlich war, rächte ich mich an ihr, weil ich mich im Stich gelassen fühlte. »Und ihre Zehen sind auch noch feucht«, setzte ich mit einem Achselzucken hinzu.
»Oh«, sagte Rosaleen noch einmal und sah uns so verständnislos an, als hätte ich Chinesisch gesprochen. »Dann vielleicht einen Kaffee?«
Ich fing an zu lachen, Rosaleen machte ein beleidigtes Gesicht, und Barbara flipfloppte hinter meinem Rücken vorbei, ohne mich anzusehen. Dabei hatte ich ihr doch nur den Abgang leichter gemacht. Neben Rosaleen sah Barbara sogar in ihrem Velours-Jogginganzug, ihren Flipflops und dem fleckigen selbstgebräunten Hals wie eine exotische Göttin aus. Und dann wurde sie vom Hexenhaus verschlungen wie ein Schmetterling von der Venusfalle.
Obwohl Rosaleen mich hoffnungsvoll anstarrte, schaffte ich es immer noch nicht, mich der Gesellschaft anzuschließen.
»Ich seh mich mal ein bisschen um«, verkündete ich stattdessen.
Rosaleen wirkte enttäuscht, als hätte ich ihr etwas abgeschlagen, was ihr sehr am Herzen lag. Ich wartete darauf, dass sie wieder ins Haus zurückging und in die Finsternis der Diele verschwand, die mir wie eine andere Dimension vorkam. Aber sie rührte sich nicht vom Fleck, sondern blieb auf der Veranda stehen und beobachtete mich, bis mir endlich klar wurde, dass ich mich als Erste in Bewegung setzen musste. Unter ihren durchdringenden Blicken sah ich mich um. Wo sollte ich hingehen? Links von mir war das Haus, hinter mir das offene Tor zur Straße, vor mir eine Baumreihe und rechts ein schmaler Weg, der in die Dunkelheit zwischen den Bäumen führte. Schließlich entschied ich mich dafür, zurück auf die Straße zu gehen, und ich zog los, ohne mich ein einziges Mal umzudrehen, denn ich wollte gar nicht wissen, ob Rosaleen noch da war. Aber je weiter ich ging, desto stärker wurde das Gefühl, dass nicht nur Rosaleen mich im Auge behielt, sondern dass mich von jenseits der majestätischen Bäume noch jemand beobachtete. Es war das gleiche Gefühl, wie wenn man ungefragt in die unberührte Natur eindringt, ein Gefühl, dass man eigentlich gar nicht da sein sollte – oder jedenfalls nicht ohne ausdrückliche Einladung. Die Bäume an der Straße wandten die Köpfe nach mir und starrten mir nach.
Wenn mir Männer in mittelalterlicher Rüstung schwertschwingend auf ihren Pferden entgegengekommen wären, hätte ich mich nicht gewundert, denn sie hätten keineswegs fehl am Platz gewirkt. Das Gelände schien von Geschichte durchdrungen, erfüllt von den Geistern der Vergangenheit, und ich war nur eine von vielen, für die ihre eigene Geschichte begann. Die Bäume hatten schon so viel gesehen, interessierten sich aber dennoch für mich, und in der
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