Ich sehe was, was du nicht siehst
erschossen worden – weil du so gut auf dich aufpassen kannst. Du brauchst Hilfe, bist aber wie immer zu starrsinnig, um es zuzugeben. Sag mir endlich, wer der Schütze war.«
Sie strich sich eine Haarsträhne hinter das Ohr. »Ich weiß es nicht.«
Seine Gesichtszüge wurden hart. »Du weißt es sehr wohl.«
»Du glaubst also, dass ich lüge?«
»Ich
weiß
es sogar.«
Warum konnte er sich nicht einmal raushalten?
Sie machte einen Schritt nach hinten und sah hinüber zum Eingangstor. Ihr Cabrio stand direkt vor dem Eingang. Konnte sie ihren Wagen erreichen, ehe er sie einholte? Er war verwundet, das würde ihn Zeit kosten. Wenn sie den Überraschungsmoment ausnutzte, reagierte er möglicherweise nicht schnell genug. Sie tastete in ihrer Hosentasche nach der Fernbedienung für das Auto.
»Wer ist der Schütze?«, fragte er noch einmal.
»Ich habe dir bereits gesagt, dass ich es nicht weiß.«
»Natürlich weißt du es.«
Sie machte noch einen Schritt nach hinten.
Er folgte ihr und griff nach ihren Schultern. »Dieses Mal hast du keinen Vorsprung. Du würdest es nicht mal bis zum Tor schaffen. Wer ist der Schütze? Ich werde dich das nicht noch einmal fragen.«
Sie versuchte, sich zu befreien, gab aber auf, als sein Griff um ihre Schultern nur noch fester wurde. Frustriert stampfte sie mit dem Fuß auf. »Warum sollte ich dich anlügen?«
»Gute Frage. Warum solltest du das tun? Mads, du bist eine intelligente Frau. Wenn dir auffällt, dass ein Fremder dein Haus beobachtet, dann rufst du die Polizei – selbst wenn sie dir irgendwelchen Unsinn darüber auftischen, dass sie dich festnehmen wollen.«
Mads.
Was für ein bescheuerter Kosename. Wenn ihr Bruder sie ›Quälgeist‹ schimpfte, dann ergab das wenigstens einen Sinn. Pierce war der einzige Mensch, der sie Mads nannte. Es war einfach dumm. Es war nicht einmal niedlich.
Und doch – jedes Mal, wenn er sie so nannte, schmolz sie innerlich dahin.
Sie atmete tief durch und versuchte es noch einmal. »Vielleicht nimmst du der Polizei nicht ab, dass sie mich festgenommen hätten, aber ich habe ihnen geglaubt. Deshalb habe ich sie auch nicht informiert.« Das war eine ziemlich schwache Entschuldigung, aber mehr fiel ihr nicht ein angesichts eines einen Meter neunzig großen Mannes, der sie um etliches überragte und mit durchdringenden Blicken durchbohrte.
»Also, statt die Polizei zu rufen, hast du die Verfolgung aufgenommen,«, fuhr er fort und ignorierte ihre Einwände.«Du bist ihm gefolgt, weil du wusstest, wer er war und nicht wolltest, dass die Polizei Bescheid weiß. Aber du hast ihn unterschätzt. Du dachtest, du könntest ihn erwischen und zur Rede stellen. Damit, dass er bewaffnet war, hast du nicht gerechnet.«
Du liebe Zeit. Dieser Mann war wie ein Spürhund, der die Fährte des Fuchses aufgenommen hatte – das sah gar nicht gut aus für den Fuchs.
»Was hat der Schütze gegen dich in der Hand?«
»Nichts«, quiekte sie. Vor aufsteigender Panik klang ihre Stimme schrill.
Sein ungläubiger Gesichtsausdruck war vernichtender als jede offen ausgesprochene Beschuldigung. Die Spannung zwischen ihnen wuchs, während die Minuten verstrichen. Endlich schüttelte er den Kopf und ließ ihre Schultern los. Er fuhr mit der Hand über die Bartstoppeln auf seinem Kinn.
Madison sackte erleichtert in sich zusammen, richtete sich jedoch sofort wieder auf, als sie sah, dass Pierce sein Handy aus der Jacketttasche gezogen hatte. Ihr wurde unbehaglich zumute.
»Was machst du?«, fragte sie.
Er rief eine eingespeicherte Nummer auf und zeigte ihr das Gesicht, das auf dem Display erschien.
Logan.
Sie schnappte nach Luft und griff nach dem Handy.
Er hielt es in die Höhe, sodass sie nicht heranreichte.
»Bitte, tu das nicht«, sagte sie. »Er schläft sicherlich gerade tief und fest. In Italien-«, sie versuchte vergeblich, an das Handy heranzukommen, »ist es jetzt drei oder vier Uhr morgens.«
Er drückte das Telefon an sein Ohr. »Erster Freiton.«
»Er ist dein bester Freund. Willst du ihm wirklich die Flitterwochen ruinieren?« Sie ballte die Hände, sodass sich ihre Fingernägel in ihre Handflächen gruben. Wenn Logan herausbekam, was vor sich ging, würde er es als seine Pflicht betrachten, die Dinge wieder in Ordnung zu bringen. Doch dafür war es zu spät. Wenn er auch nur ansatzweise mitbekam, was vor sich ging, würde er sofort versuchen, sie aufzuhalten und ihr verbieten, sich selbst um das Problem zu kümmern. Das durfte auf keinen Fall
Weitere Kostenlose Bücher