Ich, Tochter eines Yakuza (German Edition)
wir uns gerade zum Essen zusammen, als ein Onkel von mir zu meinem Vater trat und ihm zuraunte: »Du kriegst keinen Yen von dem ganzen Vermögen der Tendo-Familie, du verdammter Yakuza!«
»Die Trauerfeier ist noch nicht einmal vorbei und da willst du schon über das Erbe reden. Ich brauche keinen einzigen Yen davon und dieses Haus werde ich nie wieder betreten«, brüllte mein Vater und stürmte davon.
Damals hat keiner der anderen Verwandten ein Wort gesagt, alle haben nur auf ihre Füße gestarrt. Meine Oma war gerade erst gestorben – wie konnten die Erwachsenen nur so gierig sein und schon über Geld reden? Das fand ich schrecklich. Mein Vater war zwar ein Yakuza, aber ich fand, dass er absolut recht hatte.
Einige Tage später geriet mein Vater in irgendwelche Schwierigkeiten, wurde verhaftet und kam ins Gefängnis.
Unsere Familie war von Anfang an nie wirklich in die Nachbarschaft eingebunden gewesen, wir waren neu hinzugezogen und hatten uns nie richtig eingelebt. Nach der Verhaftung brodelte dann allerdings die Gerüchteküche und es ging los mit Diskriminierungen.
Als ich eines Tages vor unserem Haus ein Bild malte, kam eine Frau aus der Nachbarschaft vorbei, beugte sich zu mir hinunter und flüsterte mir ins Ohr: »Shoko, weißt du eigentlich, dass dein großer Bruder gar nicht dein richtiger Bruder ist? Er stammt aus der ersten Ehe deiner Mutter.«
Natürlich veränderten sich meine Gefühle für meinen Bruder dadurch nicht, aber ich konnte nicht verstehen, warum jemand einem Kind so etwas unbedingt mitteilen musste. Ich fand das grausam. In der Schule breiteten sich diese Gerüchte über meine Eltern aus wie eine ansteckende Krankheit, und ich war als das »Yakuza-Mädchen« gebrandmarkt. Die ersten sechs Jahre in der Schule wurde ich eigentlich nur noch gemobbt.
Als ich in der zweiten Klasse war, geschah etwas, das ich nie vergessen werde.
Wie alle anderen Schüler musste auch ich regelmäßig das Lehrerzimmer putzen. Da ich sehr klein war, konnte man mich leicht zwischen den Tischen und Stühlen übersehen. Eines Tages hörte ich dabei plötzlich die vertraute Stimme meiner Lieblingslehrerin. »Shoko Tendo? Das Mädchen kann doch nichts außer zeichnen und Japanisch, oder? Die ist wirklich strohdumm! Eigentlich lohnt es sich gar nicht, der etwas beizubringen zu versuchen«, höhnte meine Lehrerin und warf dabei ein Blatt Papier auf den Tisch. Die anderen Lehrer im Lehrerzimmer stimmten ihr zu: »Da hast du recht!«
Dann lachten alle laut. Mein letzter Test lag mit Note auf dem Tisch. Lernen fiel mir immer schwer, aber ich habe mich stets wirklich angestrengt …
Ich richtete mich auf und stand wie ein begossener Pudel inmitten der lachenden Lehrer, denen endlich auffiel, dass ich da war.
»Oh, bist du fertig mit Putzen? Gut gemacht«, beeilten sie sich zu sagen und schickten mich dann mit einem falschen Lächeln aus dem Zimmer. Ich rannte davon, so schnell ich konnte.
So lernte ich, dass Menschen immer zwei Gesichter haben. Und diese Lektion habe ich niemals vergessen.
Damals war Kindern zwischen vier und vierzehn Jahren verboten, jemanden im Gefängnis zu besuchen. Deshalb konnten Maki und ich unseren Vater lange nicht sehen. Mama musste die kleine Na-chan überallhin mitnehmen und kümmerte sich um die Firmen und die jüngeren Yakuza. Sie beklagte sich nie, aber ich wollte ihr auf keinen Fall noch mehr Sorgen bereiten, deswegen erzählte ich ihr nichts davon, was in der Schule alles passierte.
Doch weil ich niemandem etwas davon verriet, wurden das Schikanieren und der Terror bald zur Normalität: Meine Sportsachen und meine Schulhausschuhe wurden in die Müllverbrennungsanlage geworfen. Wenn unsere Klasse mit Putzen dran war, traf es immer mich, den Boden zu schrubben. Meine Mitschüler ignorierten mich, es war, als gäbe es mich gar nicht.
Die Kinder, die mich diskriminierten und quälten, gehörten zu den Klassenbesten, deren Eltern ganz besonders streng waren – eine echte Elite. Natürlich konnte das Ganze nie ans Licht kommen, wenn ich nicht irgendetwas dagegen unternahm, aber selbst dann hätte vermutlich jeder nur gesagt: »Was redest du denn für einen Unsinn?«
Und beim nächsten Mal hätten sie dafür gesorgt, dass die Schuldigen nicht mehr gefunden werden würden.
Aber wie gemein sie auch waren, ich weinte nie und ging immer zur Schule, außer wenn ich krank war. Meine einzigen Freunde waren mein Block und mein Bleistift. Sämtliche Pausen verbrachte ich mit
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