Ich, Tochter eines Yakuza (German Edition)
Menschen eine schwierige Familiengeschichte und trugen ein starkes Gefühl von Einsamkeit und Entfremdung in sich. Und genau das war es, was wir gemeinsam hatten. Mit der Zeit hat sich mit einigen dieser Häftlinge ein wirklich schöner Briefwechsel entwickelt. Natürlich habe ich auch merkwürdige Leserbriefe bekommen. Viele männliche Leser aus Japan haben mir zum Beispiel geschrieben: »Tendo-san 3
› Hinweis
, warum heiraten Sie mich nicht? Ich werde Sie glücklich machen.« Damit möchte ich wirklich nicht angeben, ich fand es nur ziemlich überraschend, dass meine Geschichte eine solche Reaktion hervorgerufen hat! Ein Mann hat mir einen Brief geschrieben, in dem stand: »Sie tun mir furchtbar leid. Ich könnte Ihnen ein Haus kaufen, ein Auto – alles, was Sie wollen.« Natürlich möchte ich Geld haben und schöne Dinge. Aber ich bin niemand, der einem leidtun sollte. Und ich weiß auch, dass materielle Dinge das Herz nicht zufrieden machen können. Auf diesen Brief habe ich gar nicht erst geantwortet.
san: Honorativ am Ende des Nachnamens, vergleichbar mit »Herr« bzw. »Frau«.
»Shoko, bitte hör nie auf, an dich zu glauben …«
Mein Wissen über die Welt ist sicherlich begrenzt und mein Schreibstil mag spröde sein, aber ich hatte immer die Worte meines Vaters im Kopf, als ich versucht habe, mein Bestes zu geben. Meine ungeschickte Prosa wurde von so vielen Menschen akzeptiert: Yakuza und Nicht-Yakuza, in Japan und im Ausland. Das ist nur ein Beweis dafür, dass sich der Weg vor einem tatsächlich öffnet, wenn man an sich glaubt und sein Möglichstes gibt. Natürlich ist der Erfolg dieses Buches zum größten Teil Ihnen zu verdanken, den Lesern, die es ausgesucht und gelesen haben und dafür möchte ich Ihnen aus tiefstem Herzen danken.
2005 wurde meine Tochter geboren. Ihr Vater hat nichts mit der Yakuza zu tun, doch unsere Beziehung war ziemlich schwierig, daher bin ich nun eine alleinerziehende Mutter 4
› Hinweis
. Früher habe ich mir nicht vorstellen können, ein Kind zu haben, es gab Zeiten, in denen es unglaublich schwer war, meine Tochter großzuziehen. Aber ich habe viel von ihr gelernt, und manchmal scheint es mir, als würden wir zwei zusammen erwachsen werden. Außerdem macht die Freude des Mutterseins alle Schwierigkeiten wieder wett. Meine Tochter erinnert mich an meine eigene Kindheit und daran, dass es auch gute Momente gab, selbst als meine Familie schwere Zeiten durchlebte. Familie – ich habe lange gebraucht, um das wirklich schätzen zu können, aber heute weiß ich, dass meine Familie der Platz ist, an dem ich mich immer am wohlsten gefühlt habe. Und jetzt, da ich eine Tochter habe – meine eigene Familie –, macht mich das glücklicher als alles andere auf der Welt.
Alleinerziehende Mütter sind in Japan eher ungewöhnlich und in der Gesellschaft nur wenig akzeptiert.
Shoko Tendo
Tokio, 2008
1 . W OLKEN, DIE VORÜBERZIEHEN
Im Winter 1968 wurde ich als Tochter eines Yakuza geboren.
Ich war die zweite Tochter meines Vaters Hiroyasu und meiner Mutter Satomi Tendo. Insgesamt waren wir vier Geschwister: Mein großer Bruder Daiki war zwölf Jahre älter als ich, meine Schwester Maki war zwei Jahre älter und unsere Jüngste, Natsuki, war fünf Jahre jünger als ich. Daiki war für mich immer mein »großer Bruder«, Maki war »Maki-chan 5
› Hinweis
« und Natsuki immer »Na-chan«.
chan: Suffix für vertraute Personen und Kinder.
Anfangs wohnten wir in einem Haus in Toyonaka, im Norden von Osaka, doch schon bald zogen wir in ein neues Haus im vornehmen Sakai. Es war ein wunderschönes Haus, das zur Straße hin von großen eisernen Flügeltoren abgeschirmt wurde, herrliche Rhododendren blühten auf beiden Seiten eines Weges aus Pflastersteinen, der zum Eingang führte. Unsere Eltern und jeder von uns hatte ein eigenes Schlafzimmer, es gab ein Ankleidezimmer, ein Esszimmer, zwei Zimmer im japanischen Stil mit Tatami-Matten und ein Geschäftszimmer im westlichen Stil, in dem Vater seine Geschäftspartner empfing. Weil das ganze Haus so neu war, wehte noch der Duft von frischem Holz durch alle Zimmer. Alles war viel zu groß für uns, es gab mehr Platz, als wir eigentlich brauchten.
Vor meinem Schlafzimmerfenster stand ein großer Kirschbaum, der immer erst sehr spät im Jahr blühte und fast ein guter Freund für mich war. Hatte ich Probleme oder Sorgen, dann setzte ich mich unter seine Zweige und fühlte mich dort geborgen. Vor unserem Wohnzimmer war ein
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