Ich, Tochter eines Yakuza (German Edition)
überflüssig.
Und genau das macht das Problem so ernst.
Ich möchte an dieser Stelle gern einiges weitergeben, was ich selbst erlebt habe. Nach einer gewissen Zeit mit Speed kommen die ersten Halluzinationen: Ich werde beobachtet, man will mich umbringen. Ein Freund von mir war davon überzeugt und rief mich fast täglich um Mitternacht an. Dann bat er mich, hinter dem Telegrafenmasten nachzusehen und mich zu vergewissern, dass sich da kein Mörder versteckt hatte.
Die Mutter eines Speed-Süchtigen kam einmal halb wahnsinnig vor Sorge zu mir und meinte: »Mein Sohn ist verrückt geworden!« Sie erzählte mir, dass ihr Sohn jeden Abend vor dem Schlafengehen eine fünf Zentimeter breite, gerade Linie aus schwarzem Pfeffer um seinen Futon herum ausstreute, die so exakt war, als wäre sie mit einem Lineal gezogen worden. Als sie ihn fragte, warum er das tat oder ob ein magisches Ritual dahinterstecke, meinte er ernst, dass die Gefahr bestünde, dass Insekten auf ihm herumkrabbelten, wenn er schlief, und der Pfeffer das verhindern würde. Diese Erklärung überzeugte sie davon, dass er den Verstand verloren hatte.
Solange es bei solchen auf sich selbst bezogenen Dingen bleibt, ist das Ganze gesellschaftlich gesehen vielleicht nicht weiter schlimm, jedoch beginnen manche Abhängige auch damit, andere zu verletzen.
Die oben genannten Beispiele betrafen alle männliche Suchtkranke. Ich habe schon oft gehört, dass sich bei Frauen die Auswirkungen des Speedkonsums stärker im sexuellen Bereich niederschlagen als bei Männern. So richtig verstanden und nachvollziehen können habe ich diese Aussage allerdings erst nach Lektüre dieses Buches.
Meiner Erfahrung nach gibt es einige, die es in Kliniken geschafft haben, von ihrer Sucht loszukommen. Die schnellste Art ist eine Verhaftung durch die Polizei, da sie einen zum sofortigen Entzug zwingt.
Yakuza und Nachbarn
Auch hier habe ich ähnliche Erfahrungen gemacht wie Shoko Tendo als Kind in ihrem Viertel. Die Bewohner der Nachbarschaft (oder der Gemeinde), in der die Yakuza wohnen, sind den Yakuza gegenüber nicht gerade freundlich gesonnen und ziemlich voreingenommen, wahrscheinlich spielt da auch ein wenig Neid mit.
Es wird nicht einmal im Ansatz ein Versuch unternommen, die Yakuza-Familie als Teil der Nachbarschaft zu integrieren, ein Gemeinschaftsgefühl aufzubauen und in gegenseitiger Hilfsbereitschaft freundlich und friedlich zusammenzuleben.
Eine Yakuza-Familie wird in ihrem Viertel oft Gegenstand von alltäglichem Klatsch und Tratsch, und häufig heißt es: »Jetzt spielen sie sich noch auf, aber früher oder später werden sie auf der Straße landen« oder »Sobald der Vater im Gefängnis ist, fällt diese Familie sicher auseinander«.
Dieses Gerede in der Nachbarschaft wird dann meist über die Kinder besonders geschwätziger Frauen an die Kinder der Yakuza weiterverbreitet. Wahrscheinlich hören diese Kinder ihre Mütter den ganzen Tag schlecht über die Yakuza-Familien reden. Erstaunlicherweise beteiligen sich die Väter, die über Macht und Einfluss der Yakuza besser Bescheid wissen als ihre Frauen, nicht an diesem üblen Gerede. Wahrscheinlich haben sie Angst, dass ihnen etwas zustoßen könnte, falls man bei der Yakuza davon erfahren sollte.
So sind die Tatsachen, und leider erfüllen sich die Prophezeiungen dieser Lästerzungen nur zu oft. Ein Yakuza lebt für eine gewisse Zeit im großen Stil, und zum Schluss verlässt er seine Wohngegend klammheimlich, als wäre er auf der Flucht. Und das sind keine Einzelfälle.
Die Frauen und Kinder der Yakuza müssen damit klarkommen, in einer ihnen feindlich gesonnenen Umgebung zu leben und aufzuwachsen.
Für mich ist Shoko Tendos Ich, Tochter eines Yakuza ihr Weg, sich von ihrer Vergangenheit zu lösen. Ich glaube, dass Shoko Tendo Yakuza im Grunde hasst. Aber dadurch, dass sie sich schließlich mit ihrer Yakuza-Prägung, ihrem früheren Leben und auch ihrem Vater beschäftigt hat, hat sie erkannt, dass sie nur in den Köpfen dieser Männer existiert hat, bis sie sich selbst neu erfunden hat.
In ihrem bisherigen Leben hat sie immer wieder auf den Mond geschaut. Welche Farbe hat der Mond wohl jetzt für Shoko Tendo?
Manabu Miyazaki ist ein japanischer Bestsellerautor, der in Japan für seine Gesellschaftskritik und seine Verbindungen zur Yakuza bekannt ist. Seine Autobiografie Toppamono hat sich in Japan mehr als 600 000-mal verkauft und wurde auch ins Englische übersetzt.
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