Ich träume deutsch
Weile gab es Mittagessen. Ich hatte großen Hunger, durfte jedoch nicht mitessen, denn es gab Würstchen mit Ketchup und Brot. Ich wusste, dass man auf jeden Fall in die Hölle kommt, wenn man Schweinefleisch isst. Mein Nutella-Brot durfte ich nicht auspacken, weil es verboten war, Essen mitzubringen. Man musste essen, was auf den Tisch kam. Alle Kinder und Schwester Annemarie beteten. Da konnte ich auch nicht mitmachen. Ich durfte doch nur zu |53| Allah beten und mit Gott sprach ich heimlich. Aber das durfte ja niemand wissen. Schwester Annemarie sah mich noch böser an und sagte: „Gott wird dich dafür strafen. Eines Tages wirst du nichts mehr zu essen haben.“ Alle Kinder starrten mich an und ich schämte mich sehr.
Ich hätte mir so gerne wenigstens etwas Ketchup auf mein Brot geschmiert, aber nicht mal das ging, da alle Kinder ihre Würstchen in die Schüssel mit dem Ketchup hineintunkten. Womöglich hätte ich dann auch etwas vom Schwein abbekommen.
Nach dem Essen mussten wir alle unsere Zähne putzen und ins Bett gehen. Ich wollte nicht schlafen und erst recht nicht in einem dunklen Zimmer. Ich klammerte mich an Schwester Annemarie und bat sie weinend, mich nicht in dieses Zimmer zu stecken. Da wurde sie plötzlich ganz furchtbar wütend, schrie mich an, schüttelte mich und versohlte mir so fest den Hintern, dass ich vor lauter Schmerz nur noch schrie. Schluchzend lag ich dann in diesem schrecklich dunklen Zimmer. Diesmal betete ich zu Allah. Ich hatte nicht gesündigt und ich wusste, wenn mir jemand helfen konnte, dann nur Allah. Gott hatte mich schwer enttäuscht. Gott und seine „Frauen“ waren böse. Ich wollte nie wieder was von ihm wissen!
Irgendwann schlief ich weinend ein.
Ich glaube, das Aufwachen an diesem Kindergartentag war eines der schlimmsten Erlebnisse meines Lebens. Schwester Annemarie schlug schon wieder auf mich ein und zerrte mich aus dem Bett. Unter lautem Gezeter riss sie mir die Kleider vom Leib. Und ich wusste immer noch nicht, was ich getan hatte. Nachdem sie mich ein paar Mal geohrfeigt und in die Wangen gekniffen hatte, stand ich ganz nackt vor allen |54| Kindern. An Schmerzen kann ich mich nicht erinnern, so sehr schämte ich mich, nackt vor den anderen Kindern zu stehen. Alle lachten mich aus und manche spuckten mich sogar an.
„Du bist eine Schlampe, nur Schlampen machen ins Bett!“, brüllte Schwester Annemarie.
„Wir hätten keine Muselmanin aufnehmen dürfen, aber auf mich hört ja keiner“, schrie sie weiter und warf mir meine nassen Kleider ins Gesicht.
Erst da wurde mir klar, was ich getan hatte. Ich war fünf Jahre alt und meine Anne erzählte immer ganz stolz, dass ich bereits mit elf Monaten keine Windeln mehr gebraucht hätte. So etwas Schlimmes war mir noch nie passiert! Jetzt schämte ich mich noch mehr. Ich weiß nicht, wie lange ich ohne Kleider dastand. Alle starrten mich an. Die meisten lachten mich aus, und einige zwickten mich in meinen nackten Po und rannten dann weg. Ich versuchte, meine Nacktheit hinter meinen Händen zu verstecken. Ich weiß noch, dass ich auf einmal nichts mehr fühlte. Ich spürte nicht mal Sehnsucht nach Anne, nach Tekir, nach Helene und all den Menschen, die ich doch so lieb hatte. Ich sah plötzlich den Bazar in Istanbul vor mir, meine Anne und Mine, und wie wir lachend mit einem Simit in der Hand von einem Stand zum nächsten liefen. Meine Anne lachte und kaufte uns alles, was wir uns wünschten.
Irgendwann drückte Schwester Annemarie mir die Kleider in die Hand, die vor mir auf dem Boden gelegen hatten. Ich musste mich anziehen, und sie nahm mich am Handgelenk und zog mich nach draußen. Ich musste an der Straße auf meine Anne warten. Schwester Annemarie schloss die Tür hinter mir zu. Ganz alleine saß ich auf der Steintreppe und hatte nicht mal Angst vor der Holzfigur, die über der Tür |55| hing. Ich schaute den Mann am Kreuz an und mir fiel auf, dass er auch Tränen im Gesicht hatte.
Er blutete auf der Stirn und sein Blick war sehr traurig. Vielleicht war das auch Schwester Annemarie gewesen. Vielleicht hatte sie den Propheten Isa an Händen und Füßen festgenagelt. Aber Propheten machten doch nicht in die Hose?
Später sah ich meine Anne auf mich zukommen. Mit großen Augen stand sie vor mir und wollte wissen, was passiert war. Sie umarmte mich und sah mich mit schmerzerfülltem Blick an.
Mir tat die Umarmung sehr weh. Alles schmerzte an meinem Körper und mit einem Auge konnte ich nur noch
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