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Ich träume deutsch

Ich träume deutsch

Titel: Ich träume deutsch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nilgün Tasman
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verschwommen sehen.
    „Nilgün, sag mir bitte, was passiert ist. Welches Kind hat dich so geschlagen?“
    Ich sah meine Anne nur an und brachte kein Wort heraus. Anne nahm mich an der Hand und schlug mit der Faust an die Tür, bis Schwester Annemarie öffnete. Ich zerrte an ihr, ich wollte weg, ich wollte nie mehr da rein, und ich hatte so schreckliche Angst.
    Anne schrie laut auf Schwester Annemarie ein und sagte auf türkisch ganz schlimme Wörter. Schwester Annemarie sagte gar nichts. Sie schob uns raus und schloss sofort die Tür hinter uns zu.
    Anne fing an zu weinen und wir setzten uns auf die Treppen vor dem Eingang. Ich wollte nur nach Hause, ich wollte weg von Gottes Frauen und all den bösen Kindern.
    „Nilgün, sag jetzt bitte, was mit dir passiert ist. Wer hat dich geschlagen?“
    Ich konnte kaum sprechen, weil wieder dieser Kloß in meinem Hals war, aber Anne war ganz außer sich und schüttelte mich.
    |56| „Ich habe in die Hose gemacht und Schwester Annemarie hat mich geschlagen und alle Jungen haben mich nackt gesehen. Ich habe gesündigt, Anne, muss ich jetzt in die Hölle?“
    Anne fing erneut an zu weinen, und wir gingen endlich nach Hause. Baba wollte zur Polizei, aber Anne war der Ansicht, dass uns niemand glauben würde. Schließlich seien wir nur Gastarbeiter, und an einer Nonne würde man in Deutschland nie zweifeln.
    Nach diesem Vorfall verweigerte ich das Essen. Ich sprach nicht mehr und lag nur noch im Bett. Irgendwann machte ich die Augen im Krankenhaus auf. Ich bekam mehrere Tage lang Infusionen und musste viele Tabletten schlucken. Anne versprach mir immer wieder, dass ich nie mehr in einen Kindergarten gehen müsse. Es sei auch auf keinen Fall Günah gewesen, schließlich hätte ich mich ja nicht freiwillig ausgezogen. Allah sei bestimmt nicht böse mit mir, da war sich Anne ganz sicher.
    Mit Gott war ich fertig! Er war nicht mehr mein Freund. Wie konnte er nur eine Frau wie Schwester Annemarie heiraten? Helene hatte erzählt, dass Gott mit allen Nonnen verheiratet sei. Mein „Dede“, der Baba von meinem Baba, hatte in Ostanatolien auch viele Frauen, aber keine davon hatte mich jemals geschlagen. Das hätte mein Dede auch nie zugelassen. Wie konnte Gott es nur dulden, dass mich seine Frau so schlug, und wie konnte er überhaupt eine so böse Frau heiraten?
    Allah hatte eine Hölle, eine Schicksalsbrücke und viel Feuer, aber er war nicht verheiratet und hätte sich so eine Frau auch nie genommen!

|57|
Das Beschneidungsfest
    Es herrschte große Aufregung bei uns. Onkel Mehmets Sohn sollte beschnitten werden. Onkel Mehmet war der ältere Bruder meiner Anne und sehr stolz auf seine zwei Söhne. Er und seine Familie lebten in der Schweiz. Seine Frau, Tante Zeynep, sagte immer: „Mehmet, du vergisst ständig, dass du auch eine Tochter hast!“ Yasemin war drei Monate jünger als ich, und immer wenn wir in der Schweiz waren, durfte ich bei ihr im Bett schlafen.
    Wir erzählten uns dann die verrücktesten Geschichten.
    Aytunc und Tuncay hatte ich auch sehr lieb, aber Yasemin war wie meine Schwester. Onkel Mehmet arbeitete hart, aber Tante Zeynep musste zu Hause bleiben und auf die Kinder aufpassen. Onkel Mehmet sagte: „Ich brauche das Geld einer Frau nicht. Eine Frau gehört zu ihren Kindern und soll immer für ihren Mann da sein!“
    Das hätte ich auch gern gehabt, den ganzen Tag mit meiner Anne zusammen sein zu dürfen! Aber das war bei uns nicht möglich. Baba verdiente nicht genug, und außerdem wollten Anne und Baba ja so schnell wie möglich wieder in die Türkei zurückkehren. Daher mussten beide viel arbeiten.
    Eine Beschneidung ist ein ganz wichtiges Fest und eine Pflicht für jeden Muslim. Das stehe sogar im Koran, sagte Anne. Man feiert mit allen Freunden und Verwandten. Die Mütter sind immer ganz aufgeregt, die Väter unglaublich stolz auf ihre Söhne.
    Mine und ich bekamen neue Kleider, Baba einen Anzug, und Anne nähte sich ein wunderschönes Kleid aus rotem Samt.
    |58| Onkel Mehmet und seine Familie wohnten in Schaffhausen in einem großen Hochhaus.
    Aytunc, das jüngste der drei Kinder, war mit seinen vier Jahren auf dem Weg, ein richtiger Mann zu werden. Wenn ein Junge beschnitten wird, beweist er seine Tapferkeit und ist somit ein Mann.
    Wir mussten zwei Tage vorher da sein, damit wir bei den Vorbereitungen helfen konnten. Als wir ankamen, hatte Onkel Mehmet das Lamm schon geschlachtet und war gerade dabei, es zu zerlegen.
    Meine Tante putzte die Fenster und die

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