Ich träume deutsch
einfach vor der Tür unserer Eltern abgelegt.
„Schau dich doch an, Nilgün, du hast schwarze Haare, dunkle Augen und dunkle Haut. Wie die Zigeuner! Du bist die Einzige in unserer Familie, die so aussieht.“
|67| Es war wirklich so. Meine Anne hatte ein wunderschönes Gesicht, eine helle Haut und Milchkaffee-Haare. Mein Baba sah auch nicht aus wie ich, obwohl ich so hässlich nicht war. Aber als ich dann zu weinen anfing, entschuldigte sie sich und versprach bei Allah, dass sie so etwas nie wieder sagen würde.
„Nilgün, diesmal lüge ich dich nicht an. Ich schwöre!“
„Hör auf zu schwören, du weißt, wenn man etwas Falsches schwört, kommt man ganz sicher in die Hölle!“
„Hörst du nicht? Ich lüge wirklich nicht. Wir fliegen bald mit Ali Amca in die Türkei und bleiben dort, bis Anne und Baba für immer zurückkehren.“
Mein Herz klopfte immer schneller, und ich war plötzlich ganz aufgeregt. War das jetzt etwas Schönes oder etwas Schlechtes? Mine hüpfte weiter herum und freute sich. Ich tanzte mit, weil es bestimmt etwas Schönes war, sonst hätte sich meine Schwester nicht so gefreut.
„Wann kommt Anne uns abholen? Und bei wem müssen wir bleiben?“
„Ich glaube bei Babaanne in Alaca.“
„Bei Babaanne in Alaca? Aber das ist doch so weit weg von Deutschland.“
An Babaanne konnte ich mich ganz schwach erinnern. Sie hatte ein faltiges Gesicht, und an ihrem Şalvar trug sie einen Beutel mit braunem Kandiszucker. Mein Baba hatte mal erzählt, dass seine Anne sehr streng mit ihm gewesen war, obwohl sie nur ihn als einzigen Sohn hatte. Deshalb hatte er seinen Baba mehr lieb. Aber Dede war schon tot. Über Babaanne wusste ich nicht sehr viel, außer dass sie alleine in einem großen Haus lebte.
An dem Tag, an dem Mine mir diese Neuigkeit erzählte, machte sie nicht mal ihre Hausaufgaben,weil sie sowieso bald in der Türkei in die Schule gehen würde.
|68| Annem kam immer vor Baba nach Hause und ich fragte sie gleich, wann wir nach Alaca gehen würden, aber sie wollte noch nicht darüber reden.
„Anne, aber wir gehen doch, oder? Das hast du doch gesagt?“, fragte Mine vorsichtig nach.
„Mine, deine Zunge hat auch keinen Knochen, ich habe dir doch gesagt, dass wir noch darüber sprechen müssen!“
Annem ging in die Küche und versuchte, ihre Tränen vor uns zu verbergen. Baba kam erst nach Hause, als meine Schwester und ich schon im Bett waren.
Ich wachte durch das Geschrei von Anne und Baba auf. Sie stritten sich wieder einmal so laut, dass ich mir die Ohren zuhalten musste. Mine stand weinend zwischen Anne und Baba.
„Ne olur, hört auf, so zu schreien. Bitte!“
Anne und Baba stritten sich immer öfter, weil Baba auch unter der Woche betrunken nach Hause kam und ganz oft Karten spielte. Einmal hatte er sogar die Miete nicht bezahlen können, weil er Spielschulden gemacht hatte.
Ich konnte meiner Anne nicht helfen, weil ich zu klein war, und ich hatte Angst vor Baba. Wenn er betrunken war, sah er ganz fürchterlich aus und benahm sich wie ein Verrückter.
Mine schimpfte oft über Baba, wenn der das nicht hören konnte, aber Annem wollte das nicht.
„Nicht mal Allah stellt sich zwischen Mann und Frau. Er ist trotz allem euer Vater. Es gibt schlimmere Männer“, sagte Annem. Da hatte sie allerdings recht.
Der Mann von Tante Ayse war wirklich schlimmer. Meine Freundin Fidan hatte mal erzählt, ihr Baba würde ihre Anne fast jeden Tag schlagen. Er musste sogar mal ins Gefängnis, weil die Nachbarn ihn angezeigt hatten. Trotzdem |69| hasste ich meinen Baba, wenn er meine Anne anschrie oder sie schlug. Einmal hatte Baba gesagt, dass Schläge aus dem Paradies kommen würden: „Wer seine Frauen nicht schlägt, der wird eines Tages großes Leid erfahren, so steht es im Koran!“
Baba warf die Tür hinter sich zu und verschwand. Annem umarmte meine Schwester und weinte. „Ich könnte nie ohne euch leben, und diesen Mann ertrage ich nur, damit ihr nicht ohne Vater aufwachsen müsst“, sagte sie.
Anne hatte Angst, dass sie so wie Birsen Teyze werden würde. Mir hätte es nichts ausgemacht, ohne Baba aufzuwachsen. Ich war nur sehr traurig, dass Anne wegen uns leiden musste. Wenn ich nicht wäre, müsste meine Anne vielleicht nicht so oft weinen und wäre sicher glücklicher.
„Ich verspreche euch, so bald wie möglich zu euch zu kommen, und dann bleiben wir für immer zusammen“, versprach Annem.
Es war also wahr. Wir mussten nach Alaca zu Babaanne gehen.
Ich tat so, als ob
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