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Ich träume deutsch

Ich träume deutsch

Titel: Ich träume deutsch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nilgün Tasman
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Nur war das Loch nicht so groß, da hätte nie eine Leiche hineingepasst. Das Klo gefiel mir noch weniger als der Brunnen. Da konnte man sich nicht mal hinsetzen, und Klopapier gab es auch nicht.
    „Du bist hier nicht in Alamanya!“, sagte Ablam und ging wieder zu Babaanne.
    Wir saßen mit Babaanne auf dem Boden, und es gab Maisbrot, Oliven, Käse, Wassermelonen und Tee.
    „Allahım, du siehst ja schrecklich aus. Komm lass dich mal kämmen“, sagte Babaanne und zog aus ihrem Şalvar einen weißen Kamm hervor.
    „Au, Babaanne, acıdı, das tut weh!“, schrie ich vor Schmerz auf.
    „Wie willst du mal Kinder kriegen? Stell dich nicht so an. Diese Locken lassen sich nicht kämmen“, sagte Babaanne und klebte meine Locken mit ihrer Spucke glatt auf meinen Kopf. Sie zog mit der Spitze des Kammes einen Strich auf einer Seite. „Oh güzel Kızım, so siehst du viel schöner aus!“
    Ich schaute mich im Fenster an und war mit dem Ergebnis zufrieden. Jetzt hatte ich auch so schöne Haare wie Ablam, nur waren meine nicht so lang.
    |76| Mine bekam zwei Zöpfe, aber das gefiel meiner Babaanne auch nicht.
    „Die müssen viel kürzer sein, die Kraft habe ich nicht, jeden Tag deine Haare zu kämmen“, sagte sie.
    „Anne hat gesagt, die müssen lang bleiben und wenn sie so lange sind, dass sie meine Hüften berühren, dann kommt sie uns holen“, sagte Mine.
    Babaanne seufzte laut, schüttelte wieder ihren Kopf und klopfte sich auf die Schenkel.
    „Inşallah, Inşallah.“
    „So, jetzt erzählt mal von Alamanya, wie geht es meinem Sohn, ist er auch gesund? Muss er in der Fremde viel arbeiten? Wahrscheinlich arbeitet er Tag und Nacht, um eure Mäuler zu stopfen, denn ihr werdet ihm und eurer Anne bestimmt die Haare vom Kopf fressen.“
    „Wir fressen ihnen überhaupt nicht die Haare vom Kopf!“, schrie Mine. Aber dann entschuldigte sie sich gleich. Babaanne gab keine Antwort. Sie sah aus dem Fenster, nickte immer mit dem Kopf und flüsterte ein Gebet.
    Babaanne hatte auch wenig Farben auf dem Kopf. Ihre Haut war dunkel wie ihre Augen, die man kaum sah. Ihre Augenbrauen waren so buschig und schwer, dass sie ihre Augen kaum öffnen konnte.
    In ihrem Gesicht waren ganz viele tiefe Falten. Sie hatte einen massigen Körper, aber ihr Gesicht war eingefallen. Immer wenn Babaanne ihr Kopftuch zurechtrückte, sah man ihre weißen Haare. Babaanne hatte schmale, lange Finger, und auf ihren Händen waren dicke, blaue Adern. Das sah richtig gruselig aus.
    „Ich glaube, Babaanne ist böse“, flüsterte ich.
    „Ist doch mir egal“, sagte Mine auf deutsch und verschränkte die Arme.
    |77| „Schscht, sprich nicht die Sprache der Ungläubigen!“, zischte Babaanne.
     
    Babaanne hatte ein altes, großes Haus mit ganz vielen Zimmern, die einfach nur leer standen. Wir saßen ganz lange auf dem Boden, und Babanne erzählte uns, was wir alles tun müssten.
    Ich wurde ganz traurig und musste an meine Anne denken. Ich fing wieder an zu weinen. „Oy, ağlama yavrum, ağlama, üc gün kaldi bayrama.“
    „In drei Tagen ist doch nicht Bayram“, sagte Mine.
    Babaanne holte singend eine Handvoll braunen Kandiszucker aus dem Stoffsäckchen an ihrem Şalvar und drückte es mir in die Hand.
    „Tatli yigelim tatli konusalim, lasst uns Süßes essen und Süßes sprechen“, sagte sie.
    „Babaanne, Bayram war doch erst.“
    Aber Babaanne schien meinen Einwand gar nicht zu hören, sie sang das immer wieder, um uns zu trösten. „Weine nicht, mein Kind, es sind nur noch drei Tage bis Bayram!“
    Gleich am nächsten Tag ging Babaanne mit uns auf den Markt, und wir bekamen neue Kleider. Die meisten Kleider, die wir aus Deutschland mitgebracht hatten, sollten wir erst wieder anziehen, wenn Anne uns abholen würde. Babaanne hatte unseren Koffer auf den großen Schrank im Flur gestellt. Außerdem gefielen ihr unsere Sachen überhaupt nicht, die meisten Röcke fand sie zu kurz.
    „Günah, Kızım, so könnt ihr hier nicht rumlaufen! Ihr werdet sonst in die Berge entführt“, sagte Babaannem.
     
    Alaca war ein großes Dorf, und Babaanne erzählte uns, woher Alaca seinen Namen hatte: Atatürk war vor vielen Jahren |78| in unserem Dorf gewesen und als er die bunten Häuser sah, sagte er verwundert: „Hier ist es aber kunterbunt.“ Und damit hatte Atatürk recht, in Alaca war alles sehr bunt.
    Einige behaupteten, dass man Alaca so genannt hätte, weil es viele Nomaden, Schiiten und Aleviten gab und die Bevölkerung so bunt gemischt war.
    Es gab

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