Ich träume deutsch
und spülte sie gleich mit einem Schluck Wasser hinunter. Yildiz Teyze |64| aß zwei Teller voll, und sie konnte sogar mit vollem Mund sprechen.
Ich hatte meine Suppe fast aufgegessen, aber mein Bauch tat schrecklich weh.
Yildiz Teyze ging ins Bad und brachte ihren roten Nagellack. Meine Anne hatte sich noch nie ihre Nägel rot lackiert, weil das Günah war. Man war unrein, weil unter den Lack kein Wasser hinkommen konnte. Aber ich durfte mir die Nägel lackieren lassen, meine Anne hatte es mir erlaubt.
Mit meinen roten Nägeln sah ich aus wie eine Prinzessin!
Yildiz Teyze verschwand gleich darauf wieder in der Küche. Sie streckte mir eine Schale entgegen und sagte: „Hier, das musst du essen, Milchreis ist gesund für Kinder!“
Ich konnte nichts mehr essen. Mein Bauch war so voll, dass einfach nichts mehr rein ging. Aber Yildiz Teyze hatte einen viel größeren Bauch, und da gingen so viele Sachen rein.
Nach dem Sütlaç fing sie an, Teig zu kneten. Sie drückte mir ein Wellholz in die Hand, und ich durfte ihr beim Ausrollen helfen.
Yildiz Teyze war sehr nett zu mir, und sie erzählte mir die ganze Zeit viele Geschichten.
Aber danach gab es wieder zu essen. Sie setzte mir zwei große gefüllte Teigtaschen vor.
„Yildiz Teyze, mein Bauch tut weh. Ich kann nicht mehr“, jammerte ich.
„Kein Wunder“, sagte sie. „Du isst ja kaum was!“
Ich hatte noch nie so viel Essen in meinem Bauch gehabt, und ich hatte noch nie einen Menschen gesehen, der so viel essen konnte wie Yildiz Teyze.
Ich lag auf dem Sofa und Yildiz Teyze massierte mir den Bauch. Endlich kam meine Anne, um mich abzuholen.
|65| Yildiz Teyze erzählte meiner Anne, dass ich kaum etwas gegessen und kaum gesprochen hätte.
Als wir zu Hause waren, ging es mir noch schlechter und ich musste spucken.
„Allahım, was hast du denn alles gegessen, mein Kind?“
Ich erzählte Annem, was ich alles gegessen hatte, und dass Yildiz Teyze die ganze Zeit für mich gekocht hatte. Natürlich hatte ich kaum was gesprochen, aber nur weil Yildiz Teyze so viel zu erzählen hatte. Annem machte mir einen Tee und legte mir eine Wärmflasche auf den Bauch.
Anne ging am nächsten Tag bei Yildiz Teyze vorbei und erzählte ihr, dass ich Masern bekommen hätte und vorerst daheim bleiben müsste. Yildiz Teyze war sehr traurig darüber und gab meiner Anne den Rat, mir eine Hühnersuppe zu kochen.
Zu Yildiz Teyze brachte mich Annem nie wieder. Und mein Baba schimpfte auch nicht wegen meiner roten Fingernägel. Ich durfte weiterhin mit Tekir zu Hause bleiben, weil Anne nicht wusste, wohin sie mich bringen sollte.
Ab nach Anatolien
Immer wenn Anne mich so seltsam ansah, wusste ich, dass etwas Schlimmes auf mich zukam.
Ich gab mir wirklich große Mühe, lieb zu sein. Einmal hatte ich die Fenster geputzt, die Betten gemacht und Kichererbsen aus der Dose gekocht. Meine Anne hatte sich gar nicht darüber gefreut. Sie war sogar richtig böse geworden. Zuerst hatte ich gedacht, dass ihr die Kichererbsen nicht geschmeckt |66| hätten, dabei hatte meine Anne nur Angst gehabt, dass ich mich hätte verbrennen können. Ich hatte doch so oft zugesehen, wie sie das machte, und außerdem war ich sechs Jahre alt! Da ist man doch alt genug zum Kochen!
Bis Mine von der Schule kam, durfte ich nicht mal mit meiner Freundin Helene rausgehen, sonst hätten doch die Deutschen gemerkt, dass ich alleine zu Hause war.
Ich saß mit Tekir am Fenster und sah, wie meine Schwester mit Giuseppe um die Ecke kam. Ich klopfte ganz fest ans Fenster, und Mine winkte mir zu. Sonst verdrehte sie immer die Augen, wenn sie mich sah, besonders wenn ein Junge neben ihr war. Aber anscheinend hatte sie mich auch vermisst. Sie kam zur Haustür rein und fragte gleich: „Nilgün, hat es Anne dir schon erzählt? Sag, weißt du es schon?“
„Nein, was soll Anne mir erzählt haben?“
„Ich muss hier nie wieder in die Schule gehen. Na ja, ich werde Anne sicher vermissen, aber ich freue mich auf die Türkei!“
Mine nahm Tekir auf den Arm und tanzte mit ihm herum. Jetzt war Mine verrückt geworden. Die würde wirklich später keinen Mann bekommen, wie es meine Anne schon immer vorhersagte.
„Schau mich nicht so blöd an, Nilgün, du gehst auch mit!“
Mine tanzte und hüpfte in der ganzen Wohnung herum. Ich stand da und sagte gar nichts. Mine erzählte mir oft Dinge, die gelogen waren. Einmal hatte sie mir sogar erzählt, dass ich gar nicht das Kind von Anne und Baba sei. Zigeuner hätten mich
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