Ich träume deutsch
weg.
Ich fing auch an zu weinen. „Anne wollte kommen, wenn Mines Haare auf den Hüften sitzen, jetzt wird meine Anne nie kommen!“, schluchzte ich verzweifelt.
„Seid ihr zwei verrückt geworden? Wie führt ihr euch auf? Schämt ihr euch denn gar nicht? Ich bin eine alte Frau. Wie soll ich jeden Tag diese langen Haare von ihr kämmen und pflegen?“, brüllte Babaanne wütend.
Ich hasste diese alte Frau. Ablam hatte recht. Sie war eine Hexe. Babaanne wollte gar nicht, dass meine Anne kam und uns abholte. Sie war böse und sie war hässlich, richtig hässlich!
Ablam hatte eine schiefe Frisur, und erst nach drei Tagen schnitt sie sich den anderen Zopf ab. Jetzt würde es noch |87| lange dauern, bis ihre Haare auf die Hüften hinunterreichten, aber wir wollten Annem einen Brief schreiben und ihr alles erzählen. Dann würde sie bestimmt auch früher kommen.
Die Hochzeit von Mahmut Ağas Sohn
Ablam und ich spielten Blinde Kuh. Ich sah trotz meiner verbundenen Augen immer, wo Ablam war, und konnte sie auch gleich fangen. Mine hatte ein schwarzes Tuch, um sich die Augen zu verbinden, wenn sie an der Reihe war. Da konnte man nicht schummeln, weil das viel zu dunkel war. Aber das wusste sie zum Glück nicht.
Babaanne saß auf dem Boden und machte Fladenbrote. Ab und zu schmierte sie einen Fladen mit Butter ein, rollte ihn zusammen und drückte ihn uns in die Hand. Dürüm mit Butter war mein Lieblingsessen. Das schmeckte sogar besser als deutsche Brezeln!
Plötzlich klopfte es am Tor. Wir hatten nämlich einen Löwenkopf mit einem Eisenring im Maul an der Tür hängen, und wenn jemand daran klopfte, war es so laut, dass man es im ganzen Haus hören konnte. Mine rannte zum Tor und schob den schweren Riegel beiseite.
Ein Junge trat ein und küsste gleich die Hand von Babaanne.
„Mahmut Ağa möchte euch zur Hochzeit seines Sohnes einladen. Das ganze Dorf ist eingeladen, am Freitag wird der Hennaabend stattfinden, und am Samstag ist die Hochzeit, so Allah will“, sagte der Junge, ging ein paar Schritte zurück und senkte seinen Blick.
|88| „Richte unsere Grüße aus, Allah segne das Brautpaar, wir kommen sehr gerne“, sagte Babaanne und gab dem Jungen ein Dürüm in die Hand.
„Afiyet olsun, guten Appetit“, sagte sie.
„Hier ist noch Post für euch“, sagte der Junge und gab Babaanne einen Brief.
„Ist der von Anne? Sag schon, Babaanne, ist der von Anne?“
Wir waren seit sechs Monaten bei Babaanne, und das war der erste Brief. Ablam musste immer wieder eine Pause machen und schlucken, bevor sie weiterlesen konnte. Anne schrieb, dass sie ganz lange krank gewesen sei und deshalb nicht habe schreiben können. Sie vermisse uns sehr, und Baba habe vor kurzem sogar geweint, weil er es ohne uns nicht mehr aushielte.
Anne wollte uns so bald wie möglich besuchen, aber sie hatte noch kein Geld für das Flugticket. Sie schrieb, dass sie uns schöne Kleider und Puppen gekauft habe, und dass Giuseppe und Paola immer nach uns fragten.
Annes letzter Satz galt Babaanne: „Richtet Babaanne meine besten Grüße aus, ich küsse ihre Hände.“ Ablam drückte den Brief ganz fest an sich.
Babaanne stand auf, schüttelte wütend ihre mehligen Hände aus und wiederholte den letzten Satz des Briefes: „Richtet Babaanne Grüße aus, ich küsse ihre Hände ...“ Dann nahm sie den Brief von Annem in die Hand und starrte ihn lange an.
„Babaanne, du kannst doch gar nicht lesen“, sagte ich und sah meine Abla an.
„Seit Jahren kein Brief aus der Ferne, dann kommt einer und es steht nur ein kurzer Gruß an mich darin?“
|89| Babaanne setzte sich ans Fenster, wackelte traurig mit dem Kopf und flüsterte wieder ihr Gebet.
„Babaanne, bist du böse?“
„Nein, Yavrum. So schnell gibt der Ungläubige kein Geld. Eure Eltern müssen noch lange arbeiten, bis sie sich ein Haus kaufen können.“
Den Brief von Anne teilten Ablam und ich in der Mitte durch. Die eine Hälfte durfte sie behalten und die andere Hälfte ich.
„Babaanne, gehen wir wirklich zur Hochzeit von Mahmut Ağas Sohn? Dürfen wir mitgehen?“
„Ja, wir werden hingehen. Es ist unhöflich, eine Einladung abzulehnen, vor allem wenn sie von Mahmut Ağa kommt.“
Ablam und ich waren sehr aufgeregt. Wir waren noch nie auf einer Dorfhochzeit gewesen.
Mahmut Ağa war einer der reichsten Männer von Alaca.
„Babaanne, was ziehen wir an? Dürfen wir unsere
Deutschlandkleider anziehen?“, fragte Mine.
Babaannem nickte und sagte, dass wir
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