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Ich träume deutsch

Ich träume deutsch

Titel: Ich träume deutsch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nilgün Tasman
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viele Geschichten über Alaca, aber Babaanne wusste alles am besten, weil sie ja schon so lange dort lebte.
    „Manchmal glaube ich, dass Allah unser Alaca vergessen hat. Es gibt mehr Caféhäuser als Moscheen“, sagte Babaanne.
    Die meisten Männer saßen im Café und spielten den ganzen Tag Karten. Aber nicht nur an den Wochenenden wie mein Baba, sondern jeden Tag, von morgens bis abends. Einige spielten auch Tavla, und die Männer fluchten viel beim Spielen. Frauen machten einen großen Bogen um das Dorfcafé, und Babanne sagte immer: „Die Männer sollten auch nachts im Café sein, damit sie ihre Weiber in Ruhe lassen. Entweder werden sie geschlagen oder sie werden von diesen Hurensöhnen geschwängert!“
    Die Frauen von Alaca arbeiteten eigentlich auch nicht wirklich. Sie waren auf den Feldern und pflückten Obst und ernteten Gemüse. Sie hatten ihre Kinder immer dabei. Keine ging putzen oder arbeitete in der Fabrik. In Alaca hatten alle Menschen wenig Farben auf dem Kopf, und die meisten waren sogar dunkler als ich. Und es gab keinen einzigen Deutschen. Nur Türken!
    Aber es gab ganz viele Hunde und Katzen auf den Straßen, die wir alle nicht anfassen durften, wegen der Tollwut. Und manchmal sah man kein einziges Tier auf der Straße, weil ein Lastwagen vom Bürgermeister alle Tiere eingesammelt hatte. Die kamen nie wieder zurück.
    Babaanne sagte immer, dass der Bürgermeister keine |79| Angst vor Allah habe, und dass nur derjenige, der wie Allah imstande sei, ein Lebewesen zu erschaffen, auch Leben beenden dürfe. Wenn der Bürgermeister in Alaca eine Rede hielt, ging Babaanne nie hin, weil sie ihn nicht mochte.
    Babaanne hatte Hühner, die jeden Tag Eier legten, und ein Pferd, das aussah wie ein Esel.
    „Eşoleşek!“, sagte Babaanne immer, weil das Pferd einen Esel als Baba hatte. Das gefiel uns so, dass wir darüber lachen mussten.
    Außer den Tieren lief noch ein großer Mann durch Alaca. Yalcin war so groß und so dünn, dass man ihn sogar im Maisfeld sehen konnte.
    Er hatte schwarze Haare, die immer nass waren, schwarze Augen und eine ganz lange, spitze Nase. Sogar seine Zähne waren schwarz.
    „Yalcin ist unser Dorftrottel. Sein Kopf ist leer, aber sein Herz lacht immer“, sagte Babaanne.
    Yalcin war meistens von einer Horde Jungs umringt, die in die Hände klatschten und um ihn herumtanzten. Alle machten sich über ihn lustig. Yalcin aber schien sich zu freuen und tanzte einfach mit.
    Obwohl er ein lustiges Herz und ein lachendes Gesicht hatte, sah Yalcin zum Fürchten aus. „Vor Dummen braucht man keine Angst zu haben. Fürchtet euch vor Gelehrten“, sagte Babaannem.
    Wenn wir mit Babaanne an einem der Dorfcafés vorbeigingen, erhoben sich die Männer und begrüßten Babaanne mit einem Kopfnicken. „Alles Hurensöhne!“, murmelte Babaanne und zog ihre Mundwinkel nach unten.
    Meine Babaanne kannten alle im Dorf, und sie wurde „kara Cavus“, schwarzer Oberfeldwebel, genannt. Ich glaube, die meisten hatten Angst vor ihr. Sie wusste zwar nicht, wie |80| alt sie war, aber ich glaube, Babaanne war sehr, sehr alt. Ihr Gesicht war so faltig und so verschrumpelt, dass Wassertropfen manchmal gar nicht herunterlaufen konnten. Sie blieben in den Falten hängen.
    Alaca war wirklich ein schönes Dorf mit seinen vielen bunten Häusern. Alle Menschen hatten ihre eigenen Häuser, obwohl keiner jemals in Deutschland war. Die meisten Häuser hatte Itilmis Amca gebaut. Er wurde „Ausgestoßener“ genannt, weil seine Frau ihn immer wieder aus dem Haus warf. Wenn Itilmis Amca betrunken nach Hause kam, wurde seine dicke Frau so wütend, dass sie ihn vor die Tür setzte. Itilmis Amca hatte von seinem Vater gelernt, wie man Häuser baute. Er verlangte kein Geld. Für ein paar Säcke Korn und ein paar Säcke Maismehl bekam man von ihm ein Haus gebaut.
    Mine und ich wollten Itilmis Amca unbedingt nach Istanbul mitnehmen, damit er uns dort auch ein Haus bauen konnte.
    Alaca hatte viele Straßen, aber wir mussten nicht so aufpassen wie in Deutschland, weil es kaum Autos gab. Die meisten Leute in Alaca nannten meine Abla und mich „alamanci Kizlar“, die deutschen Mädchen, weil alle wussten, dass wir aus Deutschland kamen.
    Der netteste Mann in ganz Alaca aber war Ismail Amca. Alle nannten ihn „Kilibik Ismail“, was soviel hieß wie „Pantoffelheld Ismail“, weil er nie ins Café ging, keinen Raki mochte und auch nicht Karten spielte. Im Hamam erzählte er den Männern anscheinend immer, dass sie ihre

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