Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ich träume deutsch

Ich träume deutsch

Titel: Ich träume deutsch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nilgün Tasman
Vom Netzwerk:
starr. „Ist es eine bittere Nachricht, Hasan?“
    Baba ließ sich auf das Sofa fallen, Tränen liefen ihm über das Gesicht und er flüsterte: „Nun habe ich auch keine Wurzeln mehr.“
    „Ist Babaanne tot?“, fragte Mine.
    Mein Herz begann, rasend zu klopfen. Annem setzte sich zu Baba, legte ihren Arm um ihn und wünschte ihm Beileid. Annem und Mine fingen auch an zu weinen. Baba verbarg sein Gesicht in den Händen und schluchzte laut.
    Ich verkroch mich in den Kleiderschrank und drückte mir die Kleider an die Ohren, um meinen Baba nicht zu hören. Meine Babaanne war tot, und ich würde sie nie wiedersehen. Ich hatte ihr doch versprochen, sie bald zu besuchen und hatte ihr Brezeln mitbringen wollen. Ich weinte und betete zu Allah, dass er ihr all ihre Sünden vergeben und sie ins Paradies schicken sollte.
    Was würde wohl aus meinem Freund Yalcin werden? Außer Babaanne mochte ihn doch keiner in Alaca. Wahrscheinlich würde er nun auch sterben, dachte ich und musste noch mehr weinen.
    Plötzlich bekam ich Angst, das Anne auch sterben würde. Ich riss die Schranktür auf, stürzte zu Annem und nahm sie fest in den Arm. Annem versuchte, mich zu beruhigen und versprach mir, noch nicht zu sterben.
    „Allah weiß, wann wir alle gehen müssen, aber hab keine Angst“, sagte sie, „meine Zeit ist sicher noch nicht gekommen.“
    Baba nahm einen Vorschuss von seinem Konto, um den Flug und die Beerdigung zu bezahlen. Da wir uns nur ein Flugticket leisten konnten, musste mein Baba alleine fliegen. |147| Annem kochte einen großen Topf Grieshelva und verteilte es im Namen meiner Babaanne an alle Freunde, damit sie für ihre Seele beteten.
    Am Flughafen drückte ich Baba eine Tüte mit Süßigkeiten in die Hand, die er meinem Freund Yalcin geben sollte.
    „Glaubst du, ich denke jetzt an irgendwelche Verrückte“, sagte er und warf die Tüte in Annes Handtasche.
    Vier Tage später kam Babam wieder zurück. Ganz Alaca sei zur Beerdigung von Babaanne gekommen und jeder wollte den Sarg auf den Schultern tragen, aber Yalcin habe die rechte vordere Seite des Sarges nicht freigegeben.
    „Möge ihr Platz im Paradies sein“, sagte Baba. „Ich hätte nicht gedacht, dass meine Mutter so beliebt war.“
    Nach der Beerdigung habe Yalcin die ganze Nacht auf dem Friedhof verbracht. Am nächsten Morgen habe der Dorflehrer ihn mit nach Hause genommen.
    „Baba, gehen wir denn irgendwann mal wieder nach Alaca?“, fragte ich vorsichtig.
    Baba schüttelte den Kopf und sagte, es gäbe für uns keinen Grund mehr, Alaca aufzusuchen.
    Baba holte ein geblümtes Säckchen aus der Tasche.
    „Das hat sie sicher für dich gesammelt“, sagte er und überreichte mir das Säckchen. Es war brauner Kandiszucker.
    Anschließend holte Baba noch ein Kopftuch aus der Tasche und roch daran. Dann fing er wieder an zu weinen. In der Nacht schlief ich mit dem Kopftuch in der Hand und träumte, dass meine Babaanne mir Maisbrot backte. Ich war fest davon überzeugt, dass Babaanne im Paradies war und dort die guten Menschen mit Maisbrot versorgte.

|148|
Aus Töchtern werden Bräute
    Meine Schwester und ich spielten mit unseren Puppen. Mine hatte in der Schule gelernt, wie man Puppenkleider nähte, und häkeln konnte sie auch schon. Anne gab uns ihre Stoffreste, nur an die Nähmaschine durften wir nicht, weil sie viel Geld dafür bezahlt hatte.
    Beim Spielen mit Puppen verstanden wir uns immer ganz gut. Meine Puppen hatten blonde Haare und blaue Augen mit ganz langen Wimpern. Die Puppen von Mine waren dunkelhaarig und hässlich.
    Als ich meiner Lieblingspuppe Helene das Gesicht waschen wollte, fiel mir auf, dass jemand ihre schönen, langen Wimpern abgeschnitten hatte. Ich wusste natürlich sofort, wer das gemacht hatte. Ich wurde so wütend und böse, dass ich gleich zu schreien anfing.
    Da Mine lange Haare hatte, war es sehr leicht, ihr weh zu tun, besonders wenn sie ihre Haare offen trug. Ich griff mit beiden Händen in ihre blonden Strähnen und zog so fest daran, wie ich nur konnte. Mine war viel größer und stärker als ich, aber ich wusste mir zu helfen: beißen, zwicken und ins Gesicht spucken, wenn Anne es nicht sah. Ich bekam wie immer eine Ohrfeige von Mine, aber Schmerz kannten wir in solchen Situationen nicht.
    Plötzlich sah ich meine Anne in der Tür stehen und war mir sicher, dass sie eingreifen würde. Aber nichts geschah. Anne sah uns an, lächelte und dabei kullerten wieder Tränen über ihr schönes Gesicht.
    Mine und ich hörten

Weitere Kostenlose Bücher