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Ich träume deutsch

Ich träume deutsch

Titel: Ich träume deutsch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nilgün Tasman
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und sie hatte ihn auch noch nie so schlimm beschimpft. Ablam und ich hatten große Angst und fingen an zu weinen.
    Plötzlich sah Annem uns an und ich dachte, jetzt schlägt sie uns auch gleich. Aber sie ließ sich einfach auf den Boden fallen, schlug sich die Hände vors Gesicht und schluchzte ganz laut.
    Ich hatte Angst. Meine Beine wollten nicht zu ihr gehen und mein Herz klopfte ganz laut.
    Was war nur geschehen? Mit einem Mal war das Bild wieder da, aber die Sendung war inzwischen zu Ende.
    Baba brachte ein nasses Tuch, wischte Annes Gesicht ab und hielt ihr Kolanya unter die Nase, aber Annem hörte nicht auf zu weinen. Als ich am nächsten Morgen aufwachte, saß Annem immer noch auf dem Boden neben dem Fernseher und wiegte sich hin und her, wie es Babaanne immer vor dem Fenster getan hatte. Baba war auf dem Sofa eingeschlafen und Tekir lag neben Anne, die uns nicht mal ansah.
     
    Ablam und ich zogen uns an und gingen in die Schule, ohne etwas zu sagen. Keiner von uns beiden wollte zu Anne gehen, weil wir Angst hatten.
    Frau Mayer fragte mich in der Pause, ob ich krank sei, weil ich nicht auf ihrem Stuhl sitzen wollte. Ich schüttelte nur |141| den Kopf. Ich schämte mich, ihr zu erzählen, was mit meiner Anne geschehen war, und gab mir Mühe, nicht zu weinen.
    Annem blieb tagelang im Bett liegen. Sie aß kaum noch etwas und ging weder zur Arbeit noch zum Arzt. Sie kochte auch nicht mehr für uns. Baba wollte sie zum Arzt bringen, aber Annem weigerte sich. Sie wollte nicht mal mit uns reden.
    Irgendwann wurde Annem in der Nacht mit Blaulicht in die Klinik gefahren. Sie hatte versehentlich zu viele Tabletten geschluckt. Als der Krankenwagen wegfuhr, saßen Ablam und ich am Fenster. Wir dachten, dass wir Annem nie wiedersehen würden. Nach ein paar Stunden kam Baba endlich nach Hause. Er drückte Mine und mich ganz fest an sich und erzählte uns, dass es Anne schon wieder einigermaßen gut ginge und wir sie bald besuchen dürften.
    „Baba, wird Anne sterben?“ Mine fing an zu weinen.
    „Allah schütze sie, Yavrum, beiß dir auf die Zunge, sie wird, Inşallah, in ein paar Tagen wieder gesund nach Hause kommen“, sagte er und gab uns einen Kuss auf die Stirn.
    Baba nahm Urlaub, um meine Anne zu besuchen. Wir durften erst nach einer Woche zu ihr. Der Arzt hatte es verboten.
    Ich betete immer wieder zu Allah und zu Gott. Nur beide waren stark genug, uns zu helfen, da wir ein großes Problem hatten.
    Ich konnte nur ein Gebet aus dem Koran auswendig, das mir meine Anne beigebracht hatte. Das sagte ich mit erhobenen Händen auf Babas Gebetsteppich immer wieder auf.
    Als unser erster Besuchstag kam, holte Baba unsere schönsten Kleider aus dem Schrank, schnitt uns sogar die Nägel, kämmte uns die Haare und wir gingen los. Unterwegs erzählte uns Baba, dass Anne in einer Spezialklinik sei und |142| wir ganz lieb zu ihr sein müssten. Ablam sah Babam ganz böse an und sagte: „Wir waren immer lieb zu Anne. Das solltest du dir selber sagen!“
    „Eşoleşek, gleich fängst du eine“, antwortete Baba und gab Mine einen Schubs.
     
    Es war eine wunderschöne Klinik mit einem großen Rosengarten. Eigentlich sah das Gebäude gar nicht aus wie ein Krankenhaus, sondern eher wie ein Märchenschloss.
    Plötzlich sahen wir unsere Anne auf einer Bank sitzen. Mine und ich rannten zu ihr hin und umarmten sie ganz fest. Meine Anne roch so gut! Ich hatte sie so sehr vermisst. Ich fing an zu weinen und wollte sie gar nicht mehr loslassen. Ich hatte Angst, wieder ohne Anne nach Hause zu gehen, und ich hatte noch mehr Angst, dass meine Anne sterben könnte. Anne küsste uns ganz oft und streichelte uns. Sie drückte uns immer wieder ganz fest an sich.
    Aber sie sagte nichts, kein Wort kam aus ihrem schönen Mund. Keiner von uns sagte etwas, nicht mal Baba.
    Bei uns ging es nie ruhig zu, wir waren immer eine sehr laute Familie und meinen Baba hatte ich noch nie flüstern gehört. Aber auch er traute sich kaum zu sprechen, und wenn, dann sah er nur auf den Boden und sprach so leise, dass wir ihn kaum verstehen konnten.
    Baba wollte schon nach ein paar Minuten wieder nach Hause gehen und sagte uns, dass wir Anne nicht anstrengen dürften. Aber ich klammerte mich so fest ich konnte an meine Anne und schluchzte laut. Ich wollte nicht ohne sie gehen, und ich wollte sie auch nicht alleine dort lassen. Baba ging mit Ablam ein Eis holen, und ich durfte noch bei meiner Anne bleiben, musste aber versprechen, dass ich danach ohne zu weinen mit

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