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Ich trug das Meer in Gestalt eines Mädchens (German Edition)

Ich trug das Meer in Gestalt eines Mädchens (German Edition)

Titel: Ich trug das Meer in Gestalt eines Mädchens (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kelle Groom
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kräftiger kleiner Junge. Julia reibt ihm den Rücken, und er betrachtet den Sand. Ein anderes Kind, ein Junge von vielleicht fünf Jahren mit glattem schwarzem Haar, kommt vor die Kamera und tanzt auf der Stelle.
    Die Kamera macht einen Schwenk über den Strand. Es ist August 1981 . Der bärtige Mann hält sein unruhiges Kind. Ein großes blaues Segeltuch auf Stangen ist als Zelt aufgespannt, für Julia, für den Laufstall. Daneben steht ein schwarzer Wagen. Jetzt spielt eine langsamere Musik, ein Stück aus den Dreißiger- oder Vierzigerjahren, es folgt eine Nahaufnahme von Tommy und Mikie im Laufstall. Tommy ist in Bewegung, greift nach Mikie, ist ein bisschen wacklig, Hände hinter ihm halten ihn. Er ist fünf Monate alt. Er sieht aus, als würde er Mikies Kopf, den er wie einen Kürbis hält, einen Kuss geben. Tommy zieht am Ausschnitt von Mikies Hemd. Mikie sieht unglücklich aus. Jemand hält erst Mikie eine Puppe hin, dann Tommy, der breit lächelt, seine Augen leuchtend. Nach oben gerichtet. Es verwirrt mich, wenn er aufblickt – es ist, als würde ich mich selbst ansehen, in ihm. Er ist so süß und knubbelig – sein Gesicht, die Arme, Beine.
    Julia geht mit ihm ins Wasser. Sein Kopf liegt an ihrer Schulter, er sieht zum Strand hin. Er trägt eine weiße Baseballmütze. Ein Arm, die Hand, liegt auf ihrem Rücken. An einer verschwommenen Stelle sehe ich, dass sie seine Beine mit den Fingern umfasst, ihn sicher hält, nah am Körper. Sie sieht aufs Meer hinaus. Sie lacht. Mark hält Mikie, während der bärtige Mann das ältere Kind bei der Hand fasst. Das Wasser geht ihnen über die Knie, bis zu den Oberschenkeln. Es ist ein schöner Tag, blauer Himmel, Sonne. Und dann ist es vorbei.

Die schwimmende Insel
    Das Licht ist gelb, es ist im Krankenhaus. Irgendwann wird hier ein uraltes Königreich sein. Irgendwann wird hier das Meer sein. Julia lächelt, sie sitzt vor der Kamera. Mark tritt hinter ihr ins Bild, aus einem Schwesternzimmer oder einem Flur. Neben Julia hängt eine dicke Schnur, als gäbe es an der Wand neben ihr ein riesiges Telefon. Mein Sohn sitzt auf ihrem Schoß.
    Ein Mann hat gesagt, die Zeit sei kein Fluss, wir hielten nicht an verschiedenen Stellen an. Die Zukunft sei nicht unten in der Tiefe. Das sei eine Konstruktion, sagt er. Wir erfänden uns das. Hinter ihm ist Wasser, ein Fluss ohne Strömung. Mein Sohn ist im Schwimmenden Krankenhaus. Er ist in dem Schwimmenden Zentrum für Kinder mit Krebs. Als würden die Kinder selbst auf dem Wasser treiben – als würde der Krebs es ihnen ermöglichen, so zu treiben.
    Es hatte 1894 mit einem Boot im Hafen von Boston angefangen, auf dem Frauen mit kranken Kindern umherfuhren. Ein Krankenhaus auf dem Wasser, weil ein Geistlicher glaubte, die Meeresluft würde den Kindern helfen, gesund zu werden. Das Boot war dreiunddreißig Jahre auf See. Als es abbrannte, wurde an Land ein Haus gebaut, das denselben Namen bekam. Es hat eine hochmoderne Abteilung für Knochenmarktransplantation, mit der ich beinahe persönlich Erfahrungen gemacht hätte. Mein Knochenmark, das Tiefste in mir drinnen, wäre wie Sterne im Umfeld seines Körpers gewesen. Wenn sein Zustand sich stabilisiert hätte, wenn er kräftig genug gewesen wäre. »Du hättest einen Anruf bekommen«, hatte Julia gesagt. »Du wärst die Spenderin gewesen.«
    Wir sind wieder da, wo wir angefangen haben, in einem Krankenhaus.
    Das Knubbelige war aus seinem Gesicht verschwunden, aus seinem Körper. Seine Augen sahen zehnmal so groß aus. Wenn man das Bild von ihm mit fünf Monaten neben dem von ihm mit einem Jahr sieht, krank im Krankenhaus, am 17 . März 1982 , zwei Monate und zehn Tage vor seinem Tod, würde man kaum vermuten, dass es dasselbe Kind ist. Wie kommt es aber, dass er immer noch so wie ich aussieht? Wie kann es sein, dass ich geblieben bin? Als hätte ich ihn nie verlassen. Sieh ihm in die Augen. Da bin ich.
    Die Bigband-Musik wird kurz angespielt. Tommy steckt sich einen roten Lutscher in den Mund. Julia winkt mit seiner anderen Hand zum Gruß. Als Nana Smith sich zu ihm beugt, um ihn anzusehen, und er den Blick zu ihr hebt, hört man instrumental »Somewhere Over the Rainbow«. Das bekomme ich statt seiner Stimme. Fast sieht es so aus, als könnten die Menschen im Film es auch hören. Er lächelt so hell, so zufrieden. Er ist immer noch ein so friedliches Baby, wie bei seiner Geburt.
    Ich hatte gehofft, ich könnte Tommy finden, wenn ich über ihn schreibe. Dass über ihn zu

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