Ich trug das Meer in Gestalt eines Mädchens (German Edition)

wieder arbeiten. Ich müsste sie vor der Arbeit abholen, den ganzen Tag in meiner Handtasche behalten und warten, bis ich nach Hause komme, bevor ich sie ansehen kann.
    »Ja, das müsste gehen. Ich habe gerade eine Sache fertig. Ich kann das als Nächstes machen.«
    Ich hatte geglaubt, dass die Kassetten mit Ton seien, aber zu Hause, als ich meine Freundin anrufe, sagt sie: »Nein, die sind ohne Ton.« Ich hatte gehofft, ich würde seine Stimme hören. Ich gucke nach unter Super 8 mit Ton. Ich lese, dass es eine Super- 8 -Technik mit Ton gegeben hat, die 1973 entwickelt wurde, aber schädlich war. Ein Magnetstreifen nahm den Ton auf. Ich weiß nicht, ob meine Kassetten mit Ton sind. Ich hatte meine Freundin gefragt, ob ich das Gesicht meines Sohnes auf der DVD sehen könnte.
    »Erinnerst du dich noch an die Filme in der Schule?«, fragte sie mich.
    »Diese flackernden Filme?«
    »Genau«, sagte sie.
     
    4 .
     
    Jeder der Super- 8 -Streifen war beschriftet: »Plymouth Beach 5 Mon. und Tommy Smith & Mikie 8 Mon.«; »Tommys erster Geburtstag ( 1 von 4 )«, »Tommys erster Geburtstag ( 2 von 4 )«, »Tommys erster Geburtstag ( 3 von 4 )«, »Tommys erster Geburtstag ( 4 von 4 )«. Auf dem Weg nach Hause, nachdem ich die Kassetten abgegeben habe, schalte ich das Radio ein. Eine Wirbelsturm-Warnung. »Der Sturm ist unmittelbar über dem Highway US 1 , bei Ponce Inlet.« Ich bin auf dem Highway US 1 und fahre laut Radio direkt darauf zu. Dann sehe ich ihn, Dunkelheit links von mir, jenseits der Brücke. Er umhüllt die Wohntürme neben der Nordbrücke. »In fünf Minuten könnte er über das Meer abziehen«, hatte die Stimme im Radio gesagt. Ich fahre weiter darauf zu. Ich versuche mir vorzustellen, wie es wäre – wenn der dunkle Himmel mich mit seinen Händen hochhöbe. Am nächsten Tag sagt eine Frau aus Cocoa Beach, wo der Tornado an Land gekommen war, er habe ihr Haus zusammengequetscht wie ein Akkordeon.
    Während ich am nächsten Tag auf den Anruf des Mädchens aus dem Videoladen warte, fahre ich zur Post. Ich bremse am Ende meiner Straße vor dem Kreisverkehr. Ein Auto fährt vorbei. Ich fahre los. Den riesigen schwarzen Geländewagen bemerke ich erst, als er laut hupt. Gucke aus dem Fenster auf meiner Seite und sehe, dass er gerade noch gehalten hat, bevor es zum Aufprall kam. Das ist verstörend. Ich bin etwas beunruhigt wegen der Fahrt nach South Daytona. Das Mädchen hat mir in den wenigen Minuten, in denen ich nicht im Auto war, eine Nachricht aufgesprochen. Die Kassetten sind fertig. Ich zwinge mich, etwas zu essen. Einen Joghurt. Ich fahre los, um die DVD abzuholen.
    Auf der Hülle steht in gezierter Schrift »Kostbare Erinnerungen«. Die DVD hat die Aufschrift »Thomas Edward Smith« und darunter »Home Movies«. Als die DVD geladen wird, sehe ich, dass der Hintergrund wie der Vorspann zu einem alten Film gemacht ist, wo die Zahlen rückwärts gezählt werden, bevor der Film beginnt. Eine große 5 erscheint in einem Kreis, mit strahlenförmigen Linien, die aus dem Bauch der Zahl kommen, eine Art Sonne. Aber die Zahlen werden nicht rückwärts gezählt, es ist nur Dekoration. Darüber steht in großen schwarzen Buchstaben: »Ein Abend im Kino«. Wem ist das eingefallen? Es ist nicht Abend. Der Name meines Sohnes erscheint wieder, diesmal in einem sternenbesetzten Kasten, ein bisschen schräg, mit einer Aufwärtslinie. Und darunter: »Spielfilm«. Am rechten Rand und ein bisschen verteilt am linken sind kleine Spuren von etwas, wie Sand. Als würden Flammen an dem Streifen lecken. Und das Design stören.
    Mein Sohn kommt ins Bild, er lehnt mit dem Rücken an Julia, die einen schwarzen Badeanzug trägt. Er steht im Sand, im Hintergrund das Wasser gerade sichtbar. Er trägt ein weißes Höschen und ein kurzärmeliges blaues Hemd. Er beobachtet einen anderen Jungen – Mikie, dessen Name mit Marker auf der Kassette gestanden hat, vermute ich, aber ich weiß nicht, wer das ist, noch, wer der bärtige Mann ist, der ihn hält. Mikie wirkt zurückhaltender als Tommy, der sich dem Anschein nach auf Mikie stürzen will, zum Spielen. Und obwohl Mikie drei Monate älter ist als Tommy, ist er kleiner, zaghafter. Eine schreckliche Musik ist daruntergelegt. Niemand hat mich gefragt, ob ich Musik wollte. Das Mädchen in dem Videoladen hat die Musik zur Untermalung selbst
ausgewählt.
Es ist bombastisch, Bigband-Klänge. Julia hält Tommy, als er ein paar Schritte macht, in die Kamera blickt, lächelt. Er ist ein