Ich trug das Meer in Gestalt eines Mädchens (German Edition)
langsames Einatmen davor. Der Schmerz ist eine Überraschung, gleich wird meine Haut von dem Kopf des Babys, der nach draußen drängt, zerrissen. Die Schmerzschwelle steigt immer höher. Ich schreie wieder, als es reißt. Und dann ist mein Sohn in der Welt. Ich dachte, er würde rot von Blut sein oder weiß und schrumpelig. Vielleicht haben sie ihn gewaschen, bevor ich ihn sehe? Seine Haut sieht aus wie Aprikosenhaut. Vielleicht liegt das an dem Karottensaft, den ich getrunken habe. Er sieht aus, als hätte er sein Leben lang gesund gegessen.
Dann nehmen sie ihn weg. Ihm kommt das sicherlich auch seltsam vor, das erste Mal, dass wir getrennt sind, seit er ein ungesehener Zwirbel war. Ein Arzt nimmt Nadel und Faden und näht mich zusammen. Ich habe eine Betäubungsspritze bekommen, aber ich spüre jedes Ziehen der Nadel. Wenn er den Faden festzieht.
Krankenschwestern legen mich wieder auf das Bett mit Rädern und fahren mich zu einer Station des Marinekrankenhauses. Auf der einen Seite des Flurs ist die Wöchnerinnenstation, auf der anderen Seite liegen Frauen mit gynäkologischen Problemen. Unsere Seite ist hell erleuchtet. Ich schlafe ein. Aber nach ein paar Stunden weckt eine Krankenschwester mich. »Ihr Baby hat Hunger.« Mein Körper weint, als hätte mich ein Pferd zwischen die Beine getreten oder mit seinen großen Zähnen gebissen. Bestimmt sollte niemand in meinem Zustand aufstehen müssen. »Sie müssen aufstehen«, sagt die Schwester wieder. »Ihr Baby muss zu trinken bekommen. Es sind vier Stunden vergangen.« Mein Krankenhaushemd ist eine Blütenhülle um meinen Körper. Ich setze mich auf. Meine Füße hängen aus dem Bett, und die Schwester gibt mir ihren Arm. Sie lächelt nicht. Sie ist Krankenschwester bei der Marine, eine Angehörige des Militärs. Ich spüre eine Ansammlung von Flüssigkeit in meinem Körper, einen Pfuhl von Blut. Aus meinen Brüsten nässt es feucht durch mein Nachthemd. Ich umklammere den Arm der Schwester. Meine Füße sind kalt auf dem Fußboden. Sie geht.
Ich gehe mit ihr den Flur entlang zu einem Zimmer aus Glas, wo wir nach rechts gehen, bis wir zu einem Zimmer ohne Glas kommen, zu einer Tür. Ich bleibe stehen, wankend neben einem Waschbecken. Hinter mir stehen Schaukelstühle entlang der Wand. »Warten Sie hier.« Sie geht. Sie kommt mit meinem Baby wieder. Er ist in eine weiße Decke gehüllt, das Material fühlt sich an, als wären Wolken drin, hügelig und luftig zugleich. Jemand hat die Hände meines Babys mit weißem Mull umwickelt, damit es sich mit seinen Fingernägeln nicht im Gesicht kratzt. Die Schwester zeigt auf das Waschbecken, auf das Desinfektionsmittel. Ich reibe mir die Hände ein, spüle sie ab. Tupfe sie mit braunem Papierhandtuch trocken.
Die Augen meines Babys sind geschlossen, sie sind groß. Die Bögen der Augenlider wie kleine Betten, wo meine Augen ruhen. Es ist das friedlichste Baby, das ich kenne.
Ich bin’s, deine Mum,
will ich zu ihm sagen, ohne zu sprechen. Die Schwester weiß nicht, dass er zur Adoption freigegeben ist. Sie weiß nicht, welchen Fehler sie gerade macht. Später kommt der Arzt zu mir und sagt, ich könne mein Baby nicht wieder halten, könne es nicht stillen. »Das würde Ihnen dauerhaften emotionalen Schaden zufügen«, sagt er. Ich sitze im Fernsehzimmer, als er hereinkommt, um mir das zu sagen. Es ist Abend. Der Arzt hat sein Tagewerk getan, aber er möchte mir das jetzt sagen, damit ich nicht darauf warte, meinen Sohn zu stillen. Auf dem Bildschirm ist
The Greatest American Hero
zu sehen. Der Schauspieler hat das blond gelockte Haar eines Engels und fliegt umher, um den Menschen zu helfen. »Darf ich ihn durch die Scheibe ansehen?«, frage ich. Der Arzt ist einverstanden. »Aber nur einmal am Tag«, sagt er. Drei Tage bin ich im Krankenhaus. Und an diesem Tag, diesem Morgen sagt die Krankenschwester: »Halten Sie Ihre Arme so«, während sie meinen Sohn eng an ihrer Brust hält. Und dann hält sie ihn mir hin.
Ihre Arme sind wie Brücken, auf denen mein Sohn in dieser atmenden Welt zu mir getragen wird. Ich habe das Gefühl, mein Blickfeld könnte sich jeden Moment mit weißen Wolken füllen, ich könnte zu Boden stürzen. Ich habe das Gefühl, jemand sollte mich halten. Aber dann liegt sein Gewicht in meinen Händen. Es ist so, als würde ich ihn in meinem Körper tragen – und wie das geht, weiß ich ja. Ausgeschlossen, dass ich ihn je fallen lasse. Die Knochen in meinen Armen wenden all ihre Härte auf, mein Blut,
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