Ich uebe das Sterben
Aufgabe. Zudem hätten wir gerne einen Garten, und ich möchte wieder in Darmstadt wohnen. Da ich wegen meiner Krankheit kein Auto fahre, wäre es für mich äußerst praktisch, in der Stadt an alle öffentlichen Verkehrsmittel und Einkaufsmöglichkeiten angebunden zu sein. Das erhielte mir meine Selbstständigkeit und gäbe mir mehr Freiheiten.
Wir haben Riesenglück und finden innerhalb kürzester Zeit eine Traumwohnung. Altbau, frisch renoviert, mit eigenem kleinem Garten, der von einer alten Backsteinmauer, an der Efeu und Rosensträucher ranken, umsäumt ist. Eine riesige alte Linde spendet Schatten und beherbergt Eichhörnchen und Vogelnester. Der Vermieter hat keine Probleme mit unseren drei Hunden, und zudem ist der Mietpreis für Darmstädter Verhältnisse erschwinglich.
Ein weiterer Vorteil dieser Wohnung ist, dass meine Freundin Nele nur ein paar Straßen weiter wohnt. Wir haben uns im Tierheim kennengelernt, als ich ihr ein Kaninchen vermittelt habe. Auch nach der Vermittlung tauchte Nele immer wieder im Tierheim auf, um Leckereien für die Kleintiere vorbeizubringen, sich ein wenig um die Tiere zu kümmern und um sich mit mir über Langohren und andere Nager auszutauschen. Ich kenne niemanden, der mit so viel Begeisterung, Ausdauer und Glanz in den Augen Pelznasen knuddelt. Und mit der Zeit hat sich nicht nur zwischen den Tieren und ihr, sondern auch zwischen uns eine gute Freundschaft entwickelt.
In einer Hauruckaktion schaffen Harald und ich es mit Hilfe zahlreicher Freunde, in nur einer Woche die alte Wohnung zu räumen, umzuziehen und die neue Wohnung bis ins Detail einzurichten. Harald und ich sind uns einig: Dort ziehen wir freiwillig nicht wieder aus.
Direkt nach dem Umzug bietet sich für mich die Möglichkeit, mit einem Freund nach Wien zum Frauenlauf zu reisen. Es wird eine anstrengende, aber schöne Reise. Besonders toll ist, dass ich am Zehn-Kilometer-Lauf teilnehme und die magische Ein-Stunden-Marke knacke. In einer Zeit von neunundfünfzig Minuten und siebenundzwanzig Sekunden erreiche ich bei herrlichem Sonnenschein im Prater das Ziel. Die Endorphine tanzen Tango.
An meinem Geburtstag starte ich mit Harald bei einem kleinen Waldlauf über fünf Kilometer im nahegelegenen Taunus. Ich bin glücklich und zufrieden, als ich im Ziel ankomme. Danach feiern Harald und ich bei einem leckeren Essen und einem Gläschen Sekt ein wenig meinen Ehrentag.
Viel Zeit zum Feiern bleibt mir jedoch nicht, denn bereits am nächsten Morgen fahre ich mit meiner Freundin Tina im Wohnwagen in Richtung Titisee. Wir campen auf einem schönen Platz, der direkt an einem See gelegen ist, und verbringen dort eine wunderschöne Woche.
Meinen Trainingsplan von Ralf habe ich auch im Gepäck. Ich laufe durch die Wälder der Umgebung und unternehme Wanderungen mit Tina. Außerdem schwimme ich in offenem Gewässer. Das ist sicher nützlich, denn schließlich soll ich im August fast vier Kilometer im Meer schwimmen. Das macht mir ziemliche Angst. Wenn Bob im Wasser einen Stromstoß abgeben müsste, wäre das nicht gut. Aus diesem Grund habe ich, immer wenn ich schwimme, die Furcht zu ertrinken. Aber ich habe die Erfahrung gemacht: Tu, was du fürchtest, und die Furcht stirbt.
Abends sitzen Tina und ich gemütlich bei Kerzenschein am Grill vor dem Wohnwagen und genießen den Blick auf den See. Der Himmel ist meist sternenklar.
Zurück in der schönen neuen Wohnung in Darmstadt gilt meine Aufmerksamkeit weiter dem Trainingsplan, denn der Ostseeman rückt näher.
Bob scheint dieses Unternehmen zu unterstützen, denn – kaum zu glauben, aber wahr – er bleibt die ganze Zeit über einfach ruhig. Sowohl körperlich als auch mental geht es bergauf mit mir. Die vielen Reanimationen der letzten Jahre erscheinen manchmal wie Hirngespinste. Nur nachts, wenn das Herz aus dem Rhythmus gerät, lauert manchmal die dunkle Gestalt auf meiner Bettkante. Doch mein Herz findet selbst in einen vernünftigen Rhythmus zurück – ohne Bobs Hilfe. Dies, da sind sich die Ärzte einig, verdanke ich meinem jahrelangen kontrollierten Ausdauertraining.
Während mir beim Training bald Flossen wachsen und ich mich wie eine Nixe fühle, spult mein Paps eifrig Trainingskilometer auf dem Fahrrad ab. Schließlich liegt vor ihm die längste Strecke beim bevorstehenden Staffeltriathlon. 180 Kilometer sind für einen über Siebzigjährigen sicher nicht nur ein Highlight, sondern auch eine besondere Herausforderung.
Was Herausforderungen angeht, sind
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