Ich uebe das Sterben
geht, die mich da liegen sehen, wenn das Leben aus mir herausgesogen wird, mit offenen Augen, in denen kein Lebenszeichen mehr ist. Ich denke, sie würden mich auch nicht einfach so dem Tod überlassen.
Verstand arbeitet gegen Emotion. Meine Gedanken ziehen weite Kreise, und um diese zu sortieren, schnüre ich wieder die Laufschuhe und drehe kleine Runden
Merlins Zustand verschlechtert sich zusehends. Er verliert Urin, lahmt, erbricht fast täglich, frisst kaum noch etwas, ist lustlos und in sich zurückgezogen. Es ist, als ob er in einem Glaskasten sitzt, abgeschirmt von der Außenwelt, komplett sich selbst überlassen.
Das ist schrecklich – nicht nur für ihn, sondern auch für mich, weil ich total hilflos bin. Ich wünsche mir, er könnte sprechen und mir sagen, ob und was ihm wehtut. Aber manche Wünsche bleiben unerfüllt.
Am 11. November 2005 gebe ich auf. Um kurz nach elf Uhr kommt Christian zu mir in die Wohnung. Wir reden nicht. Merlin liegt ruhig da, ein Häufchen Elend.
In diesem Moment weiß ich, es ist richtig, ihn gehen zu lassen. Dorthin, wo seine Seele Freiheit findet, wo er nicht in einem geschundenen Körper steckt, wo es keinen Schmerz gibt. Der Tod macht mir selten Angst, dazu begegnet er mir zu oft. Aber ich hasse ihn in diesem Moment noch mehr als sonst, weil er sich das nimmt, was ich liebe. Rücksichtslos und unerbittlich.
Es dauert fast eine Stunde, bis Merlin aufhört zu atmen. Christian hat ihm zwar eine hohe Medikamentendosis verabreicht, aber Merlin bäumt sich immer wieder auf. Es ist grauenhaft. Doch ich bin ganz ruhig, rede ihm gut zu, bin für ihn da. Ich möchte, dass Merlin sanft einschlafen kann.
Das tut er schließlich.
Seinen Körper bringen Harald und ich kurzzeitig in die Tierklinik, weil wir sein Gehirn obduzieren lassen wollen. Das mag sich total verrückt anhören, aber ich will unbedingt den Grund für Merlins völligen Verfall kennen.
Auf einer Schafwiese im Odenwald, die unserem Tierarzt Christian gehört, schaufeln Harald und ich ein Grab für Merlin. Dort findet er hoffentlich die ersehnte Ruhe, die er in den letzten Monaten seines Lebens nicht mehr finden konnte.
Knapp zwei Monate später erhalte ich ein Fax aus der Neuropathologie der Tierklinik. Schwarz auf weiß steht darauf: Merlin litt an einer äußerst seltenen Stoffwechselerkrankung, die zu immensen Hirnblutungen führt. Er muss starke Schmerzen gehabt haben, war teilweise völlig orientierungslos und hatte diverse Ausfälle am Bewegungsapparat oder an den Sinnesorganen, je nachdem, wo gerade ein Gefäß platzte. Sein Hirn war zum Zeitpunkt des Todes zerstört.
Auch wenn diese Vorstellung ganz fürchterlich ist, kann ich mich ab dieser Minute von meinen Schuldgefühlen, die mich seit Merlins Tod geplagt haben, befreien. Letztendlich haben wir richtig entschieden. Wir haben Merlin nicht getötet, sondern ihn erlöst. Auch wenn der Verlust über ihn immer noch schmerzt, so kann ich doch wieder frei atmen.
Familienstaffel
M it meinem Paps und Harald möchte ich im August 2006 beim Ostseeman an einer Staffel im Langdistanztriathlon teilnehmen. Ich werde schwimmen, mein Paps wird radeln und Harald laufen.
Gemeinsam mit Ralf stelle ich einen Trainingsplan auf. Die Bewegung macht mir Spaß, nicht zuletzt auch, weil ich mit Ralf zum ersten Mal einen professionellen Trainer an meiner Seite habe. Das macht bei dem elektrischen Chaos an meinem Herzen auch absolut Sinn. Es wäre fatal, einfach so draufloszusporteln, und die Ärzte hätten ohne diese Betreuung auch keine Zustimmung zu meinem Unternehmen Familienstaffel gegeben.
Der Trainingsplan wird jedoch ziemlich schnell wieder über den Haufen geworfen. Der Grund dafür ist nicht Bob, sondern Blue.
Blue ist eine zweijährige Hündin, die die ersten zwei Jahre ihres Lebens an einer Kette in einem Hinterhof verbracht hat. Eigentlich wollten Harald und ich keinen weiteren Hund mehr, aber manchmal ist es einfach, wie es ist. Blue macht aus dem Hundeduo wieder ein Trio. Abgesehen von ihrer lautstarken Bellerei ist Blue ein Schatz. Sie bleibt ohne Probleme mit den beiden Jungs allein zu Hause, während ich mein Training absolviere.
Anfang Mai erhalten Harald und ich eine schlechte Nachricht von unseren Vermietern: Sie kündigen uns wegen Eigenbedarf, und wir müssen die Wohnung so schnell wie möglich räumen. Das kommt sehr plötzlich, denn wir wohnen gerade erst mal ein Jahr in dieser Wohnung.
Eine Wohnungssuche mit drei großen Hunden ist keine einfache
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