Ich uebe das Sterben
Vater und Tochter sich allerdings sehr ähnlich. Wir verfolgen unsere Ziele ehrgeizig und mit Plan.
Doch ich durchkreuze meine Pläne manchmal selbst. Mitte Juli bin ich spontaner als spontan. Während Harald auf Geschäftsreise ist und die Hunde in der Hundepension untergebracht sind, steige ich nachmittags in einen Zug nach Marburg, um dort am Abend einen Halbmarathon zu laufen.
Das steht nicht auf meinem Trainingsplan, und es ist mir auch völlig egal, ob es passt oder nicht – ich folge einfach der Lust, mich zu bewegen.
Es ist ein herrlicher Lauf, hinein in die Dunkelheit, durchs Grüne, mit freundlichen Menschen an den Verpflegungsstellen und mit Gedanken, die frei sind. Ich genieße jeden Kilometer. Dadurch erreiche ich das Ziel zwar nicht schnell, doch das macht mir nichts aus.
Als ich später am Bahnhof in Marburg sitze und auf meinen Zug warte, fühle ich mich glücklich und zwanglos. Würde mich in diesem Moment jemand fragen, wer Bob sei, ich sähe ihn wahrscheinlich an wie ein Fragezeichen. Manchmal tut es gut zu vergessen.
Ich schaue in den sternenklaren Himmel und fange an zu träumen. Vom Ironman-Triathlon. Davon, einmal im Leben einen solchen Wettkampf zu finishen. In dem Moment fällt die größte Sternschnuppe, die ich je in meinem Leben gesehen habe, quer über den Sommerhimmel. Eine Sternschnuppe, die mir den Weg weist?
Als ich nachts zu Hause ankomme, setze ich mich an den Computer und bin mutig. Ich melde mich für das kommende Jahr für den Ironman-Triathlon in Kärnten an. Ich bin so aufgeregt, als solle ich schon morgen am Start stehen. Natürlich kommen mir auch bald die Zweifel. Aber es ist nun mal mein allergrößter Traum.
Dieses Geheimnis teile ich zunächst nur mit Harald, der das zwar verrückt findet, aber verstehen kann, dass ich meinen Traum weiterhin verfolgen will.
Am 3. August machen wir uns auf die Reise in Richtung Glücksburg an der Ostsee, wo der Ostseeman stattfindet. Mit dabei neben Harald und meinem Paps die drei Hunde und meine Freundin Tina.
Mein Paps und ich sind nervös, Harald glücklicherweise einigermaßen entspannt. Tina ist eine kleine Fee, liest uns quasi alle Wünsche von den Lippen ab, kocht uns leckeres Essen, versorgt die Hunde, füllt für meinen Paps Getränkeflaschen für die Trainingsausfahrt auf der Wettkampfstrecke und wartet geduldig mit einem Handtuch am Strand auf mich, während ich mich probeweise durch die Quallenansammlung in der Ostsee wühle. Tina ist immer präsent und jederzeit bereit, mit helfender Hand zur Seite zu stehen. Sie schafft allein durch ihre Anwesenheit ideale Bedingungen für unseren Wettkampf.
Der heißersehnte Wettkampftag geht für uns sehr früh los, denn wir wohnen ungefähr achtzig Kilometer vom Wettkampfort Glücksburg entfernt. Bereits um halb vier beendet der Wecker eine ohnehin mehr oder weniger schlaflose Nacht. Am Frühstückstisch mümmelt jeder wortlos vor sich hin. Auch während der Autofahrt trällert nur das Radio, und jeder geht in Gedanken seinen Wettkampf durch.
Die Zeit, bis der Startschuss fällt und ich mich endlich mit den anderen Athleten durch die Quallen und Wellen im Meer kämpfen kann, erscheint mir endlos. Ich friere, meine Lippen sind blau, meine Hände weiß, und mein Herz schlägt Saltos.
Glücklicherweise scheint das Bob nicht zu interessieren. Das war nämlich meine größte Befürchtung. Keine Ahnung, was ich gemacht hätte, wenn es tatsächlich passiert wäre.
Pünktlich um sieben Uhr werden meine Mitstreiter und ich auf einen zwei Runden à 1,9 Kilometer langen Kurs geschickt. Die Quallen, die ich im Training noch als unangenehm empfunden hatte, spüre und sehe ich nicht. Ich schwimme einfach und fühle mich wie ein Fisch, dessen Element das Wasser ist. Die Atmosphäre ist grandios, die Morgensonne sorgt für einen wahren Glitzerzauber auf den Wellen. Ich werde von den Wellen zwar hin und her geworfen, aber ich bleibe auf Kurs.
Als ich an Land gehe, kann ich beim Blick auf die Uhr meinen Augen kaum trauen. Ich bin mindestens fünfzehn Minuten schneller geschwommen als geplant. Völlig außer Atem erreiche ich die Wechselzone, in der ich den Transponder – also quasi den Staffelstab – meinem Paps gebe. Schleunigst verlässt er mit dem Rad die Wechselzone auf der anderen Seite. Ich bin einfach nur glücklich.
Nach einer schnellen Dusche positionieren Tina, Harald und ich uns ein paar hundert Meter von der Wechselzone entfernt an der Radstrecke, denn hier kommen die Athleten
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