Ich uebe das Sterben
versuche einfach nur, meinen Laufrhythmus zu finden. Das gelingt mir relativ schnell und auch sehr gut. Meine Füße spulen ihr Programm ab.
Nun kann ich Berlin wahrnehmen. Die Kleinigkeiten, zum Beispiel, dass überall am Streckenrand Party gemacht wird, und die großartigen Sehenswürdigkeiten der Hauptstadt. Da kommt keine Langeweile auf den knapp über zweiundvierzig Kilometern auf.
Wie nicht anders erwartet, geht mir ab Kilometer achtundzwanzig die Puste aus, und ich muss immer wieder Gehpausen einlegen. Das stört mich heute nicht weiter. Ich bewege mich vorwärts, bei einem Marathon. Darauf habe ich gar nicht mehr zu hoffen gewagt.
In vier Stunden und fünfzig Minuten überquere ich die Ziellinie und werde von Harald erwartet, der schon seit einer Stunde meiner Ankunft entgegenfiebert. Wir sind beide stolz und glücklich, und es ist wieder ein toller Moment, der in meinem Buch der Erinnerungen landet.
Bobs schönste Reise – Hawaii
E inmal in meinem Leben nach Hawaii – davon träume ich, seit ich ein Teenager bin. Dieser Wunsch ist noch größer geworden, seit ich Triathlon mache, denn auf Big Island finden alljährlich die Weltmeisterschaften der Triathleten über die Ironman-Distanz statt.
Die heißbegehrten Startplätze gibt es nur über eine Qualifikation bei einem anderen Ironman-Rennen.
Seitdem ich das Sterben übe, habe ich die Hoffnung aufgegeben, diese Qualifikation je im Leben zu schaffen. Aber ich träume immer noch von Hawaii.
Eines schönen Septembertags bekomme ich eine SMS auf mein Handy: »Hast du Lust, nächstes Wochenende nach Hawaii zu fliegen?« Die Buchstaben brauchen lange, um in meinem Gehirn anzukommen. Fassungslos starre ich auf das Display. Ein schlechter Scherz? Nein, solche Scherze macht Harald nicht mit mir.
Was ist passiert? Ein Reiseveranstalter, der auf Triathleten spezialisiert ist, sucht Leute, die für drei Wochen auf Hawaii arbeiten. Der Lohn: Flug und Unterkunft. Keine Frage, da bin ich dabei. Vor lauter Aufregung kann ich kaum einen klaren Gedanken fassen.
Sehr schnell lande ich wieder auf dem Boden der Tatsachen, als ich meinen Reisepass herauskrame: Er ist abgelaufen. Beim Passamt beantrage ich umgehend einen neuen Reisepass, doch es ist fraglich, ob selbst die Expressversion schnell genug fertiggestellt werden kann. Die Wartezeit wird zur nervlichen Zerreißprobe. Aber ich habe Glück: Zwei Tage vor meinem Abflug – und dreizehn Minuten vor Dienstschluss des Passamts – ist mein Reisepass da. Ich bin wahnsinnig erleichtert. Jetzt steht der Reise nach Hawaii nichts mehr im Weg.
Harald bringt mich am Tag meines Abflugs zum nahegelegenen Flughafen nach Frankfurt.
Die Sicherheitskontrolle wird überraschenderweise zum Staatsakt. Da ich mit Bob nicht durch den Metalldetektor gehen darf – Bob könnte sich kurzfristig ausschalten, und dies könnte für mich äußerst ungünstig sein –, halte ich meinen Defi-Ausweis bereit. Ganz normal reihe ich mich in die Schlange der wartenden Passagiere ein. Als ich dann an der Reihe bin, zeige ich meinen Defi-Ausweis und ernte verständnislose Blicke.
Ich versuche es mit einem freundlichen Gespräch und sage: »Ich habe einen implantierten Defibrillator und darf nicht durch die Sicherheitsschranke gehen.«
»Was haben Sie da? Ach ja, ich habe so einen Ausweis schon mal gesehen. Aber ich weiß jetzt auch nicht, was wir mit Ihnen machen sollen. Warten Sie mal hier.«
Also warte ich geduldig, während sich einer nach dem anderen an mir vorbei und durch die Sicherheitskontrolle schiebt. Ich stehe da, verloren, und komme mir vor wie ein Alien. So hatte ich mir den Start meiner Reise nicht vorgestellt.
Gefühlte Stunden später werde ich dann durch eine Seitentür an den Schranken vorbeimanövriert und von Hand abgetastet.
Die Dame, die mich überprüft, fragt noch mal nach: »Was haben Sie da?«
»Einen implantierten Defibrillator«, antworte ich geduldig.
»Was ist denn das, davon habe ich ja noch nie gehört?«
Doch die Rückfrage war wohl nur rhetorisch, denn die Kontrolle ist schon beendet, und ich werde weitergebeten.
Während ich mein Gepäck einsammle, fällt mein Blick auf die Wand gegenüber den Metalldetektoren. Ich traue meinen Augen kaum: Da hängt ein Defibrillator. Keine fünf Meter von der Kontrolle entfernt – und keiner der Sicherheitsleute konnte etwas mit dem Wort Defibrillator anfangen. Ich finde das sehr befremdlich. Und irgendwie auch grotesk.
Aber ich habe keine Lust, mich darüber zu
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