Ich und andere uncoole Dinge in New York
Muse, so dass ich jetzt nicht nur hundert Mal spießiger aussehe als sie, sondern auch noch hundert Mal verklebter bin. Die Subway-Wagen geben Geräusche von sich wie quietschende Turnschuhe in der Sporthalle und eine Frau in einem karierten Anzug beschwert sich quäkend über irgendetwas. Die Wagen sind ganz schön schmuddelig für eine Weltstadt.
„Ich weiß nicht mehr genau, worüber wir gesprochen haben, aber ich bin mir sicher, dass Peter mir seine Telefonnummer gegeben hat.“
„Und, rufst du ihn an?“
„Ich muss sie verloren haben. Ich kann’s echt nicht glauben.“
„Vielleicht bildest du dir das nur ein mit der Telefonnummer. Du warst ja nicht mehr so ganz frisch im Kopf.“ Ich hätte zwar auch gern seine Telefonnummer, aber dass er sie Rachel gegeben hat, finde ich sowieso daneben.
Rachel wirft ihre Haare mit einer genervten Handbewegung nach hinten. „Hör mal. In New York gibt dir ein Typ nicht seine Telefonnummer. Du gibst ihm deine Telefonnummer und er ruft an. Peter hat mir seine garantiert gegeben. Das ist mir aufgefallen. Deshalb habe ich ihm meine ja nicht gegeben.“
„Ach komm, wir sehen ihn bestimmt noch mal wieder“, versuche ich sie und mich zu beruhigen.
„Judith”, Rachel sieht mich mit ihren tiefschwarzen Augen verächtlich an, „wir sind in New York. Da trifft man sich nicht zufällig wieder. So eine Scheiße.“ Genervt blickt sie zur Seite und schirmt ihr Gesicht mit ihren Locken ab.
„Zur Not können wir nächste Woche noch mal hingehen, vielleicht ist er ja wieder da.“ Ich werde bestimmt hingehen. So macht man das jedenfalls in Dinslaken. Da findet man jeden wieder. Leider auch die, die man gar nicht wiederfinden will. Aber Rachel rollt nur genervt mit den Augen. An der 42sten Straße steigen wir aus. Hier sind die Straßen voll von Benjamin-artigen Menschen, die in Anzügen und Kostümen zur Arbeit eilen. Scirox ist in einem unglaublich hohen Bürogebäude untergebracht. Die Fahrstuhltür öffnet sich in der 24. Etage und gibt den Blick auf einen gelben Schriftzug frei, der in der Vergangenheit den Slogan „Scirox – be part of the legend“ buchstabiert haben muss. Das „t“ ist allerdings heruntergerutscht und das „l“ fehlt. Der „Office Manager“ ist nicht viel älter als ich und scheint von irgendetwas begeistert zu sein, ich fürchte von sich selbst. Er begrüßt mich mit Handschlag und fast erwarte ich ein High five. Er erklärt, dass ich jetzt einer von siebenhundert Scirox-Mitarbeitern bin, und streicht sich dabei mit dem Zeigefinger über seine Koteletten, die er zu Blitzen rasiert hat. Okay, ab morgen keine weiße Bluse mehr. Dann führt er mich „zu meinem neuen Zuhause“ und plötzlich sitze ich umgeben von grauen Stellwänden an einem Schreibtisch in einem von unzähligen Cubicles in einem Großraumbüro. Und bevor ich Rachel, die im Cubicle neben mir sitzt, fragen kann, wie’s weitergeht, kommt eine hyperblonde Mischung aus olympischer Sportlerin und Minnie Mouse auf mich zu. „Hi, ich bin Gretchen, die Leiterin von deinem Team.“ Aha. Welches Team eigentlich? Sie spricht Gretchen wie Grättschen aus, so dass es nicht sonderlich deutsch klingt. In Deutschland würde ja auch niemand auf die Idee kommen, sein Kind Gretchen zu nennen.
„Ich habe dir die wichtigsten Dokus und Mails weitergeleitet. Lies das, dann weißt du, worum es geht. Wir reden später.“ Dann verzieht sie den Mund zu einer Art Lächeln, wobei ihre Augen völlig regungslos b leiben. Rasch läuft sie weiter. Ihre unglaublich glatt gebügelten blonden Haare schwingen hin- und her. Die nächste Stunde blättere ich die Seiten auf dem Bildschirm durch und raffe nichts. Richtig, ich bin ja auch keine Programmiererin. Als ich mich gerade heimlich aus dem Staub machen will, kommt Gretchen zurück und bestellt mich in den Think container, einer Art Cubicle aus Glas, in den alle Mitarbeiter hineinblicken können, ohne zu hören, was gesprochen wird. Sie kaut energisch auf etwas, was aussieht wie ein Pflanzenstängel.
„Das ist Funktionsessen“, erklärt sie, „es stärkt die Abwehrkräfte.“ Ihre scheinwerfergroßen grünen Augen stechen bedrohlich unter ihrem langen Pony hervor.
„Sicher, ist bestimmt gut“, sage ich schnell.
„Und, alles klar?“
„Ich fand einiges nicht so verständlich“, murmele ich vorsichtig. Doch als ich gerade ansetzen will, das große Missverständnis aufzuklären, dass ich gar nicht programmieren kann, unterbricht sie mich und sieht
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