Ich und andere uncoole Dinge in New York
mich fast zufrieden an.
„Das stimmt. Die Dokumentation ist lausig. Danach kann niemand programmieren. Erste Prio ist jetzt eine Dokumentation zu erstellen, nach der man programmieren kann. Dein Job!“ Sie lächelt die Wand an und ist weg.
Als ich zurückkomme, ist der Junge aus dem Cubicle, das etwas entfernt zu meiner Linken steht, zurück an seinem Platz. „Ich bin Louis. Herzliches Beileid“, nuschelt er, als ich mich vorstelle und sage, dass ich Gret chens Team zugeteilt bin. „Egal wie viel du arbeitest, es ist immer Gretchen, die das Lob kassiert.“ Zum Glück habe ich nicht vor, viel zu arbeiten.
Zwei Tage später habe ich meinen iPod bis zum Anschlag vollgeladen und chinesische Raubkopien der neuesten Kinofilme geguckt (die Internetverbindung ist bestimmt zwanzig Gigabyte, grandios). Meine Mutter ist seit meiner Ankunft verschollen, weil sie sich entweder Pre-Dinner-Drinks oder Post-Dinner-Drinks oder Cocktails mit ihrem neuen Galeristen reinkippt und sich den Rest der Zeit von ihrem Kater erholen muss, wie sie mir per gelegentlicher SMS mitteilt. Dafür meldet der gelbe Briefumschlag auf meinem Computer mit einem Mal neue Post:
Betreff: german girl
hey german girl
lass uns zusammen mittagessen. ich kenne einen koreanischen Imbiss bei euch in der Nähe. 44. und 3rd. 1:15 okay?
Peter
Meine Schläfen sind heiß und pochen so laut, dass ich froh bin, dass Rachel ihren Kopfhörer aufhat. Das gibt’s doch gar nicht. Wo hat er bloß meine Mailadresse her? Ich lese die E-Mail noch mal und noch mal und komponiere zweiunddreißig Antworten, die so klingen sollen, als hätte ich wegen der vielen Arbeit und meiner vielen neuen Freunde eigentlich keine Zeit, könnte es aber ausnahmsweise schaffen. Vor allem soll die Mail so wirken, als hätte ich über die Formulierung keine Sekunde nachgedacht, sondern ganz spontan geantwortet. Insbesondere das Letztere wird immer schwerer, je länger ich mir den Kopf zerbreche.
„Judith, ich habe dir schon drei Mails geschrieben, du musst bitte dringend mitkommen. Es geht um die neue Doku.“
Erschrocken blicke ich hoch. Mein Gehirn schaltet so langsam, dass ich die Synapsen klicken höre: Gretchen. Ich blicke zurück auf den Bildschirm und tatsächlich: Drei neue Mails sind während der letzten Stunde eingetroffen.
„Kommst du?“ Gretchen sieht eigenartig aus. Sie hat heute plötzlich keine Augenbrauen mehr, stattdessen hat sie schwarze Striche im Gesicht, irgendein Trend, den ich verpasst habe. An einer Seite sind ihre Brauen verwischt, was ihr einen Touch von einem Marilyn-Manson-Anhänger verleiht. Sie kaut auf einem Bündel Petersilie.
„Ich muss nur noch schnell eine Mail beantworten.“ Ich blicke schnell nach unten, damit sie nicht sieht, was ich deutlich spüre: das Blut aus meinem ganzen Körper sammelt sich gerade in meinem Gesicht. Ich bin knallrot.
Gretchen blickt interessiert auf meinen Bildschirm. Schamgefühle kennt sie offensichtlich nicht. Schnell tippe ich „Ja“, drücke auf „Senden“ und schließe mein Outlook. Als ich aufspringe, treffen sich Rachels und meine Augen. Rachel zwinkert mir ungewohnt aufmunternd zu. Sie glaubt, dass ich aus Angst vor Gretchen so rot bin. Schnell wende ich mich ab. Sie würde platzen, wenn sie wüsste, wem ich gerade eine E-Mail geschrieben habe. Selbst Schuld. Wäre sie netter zu mir, hätte ich es ihr gesagt.
Die nächste Viertelstunde ist einigermaßen unangenehm, aber ich will Gretchen nicht mehr über das große Missverständnis aufklären , dass ich hier nichts beitragen kann und überspiele meine Ahnungslosigkeit so gut ich kann. Leichtsinnigerweise verspreche ihr die neue Doku allerdings für den nächsten Tag. Aber es ist doch ganz nett hier und das gilt nicht nur für die Internetverbindung. Auf dem Flur gibt es Automaten mit Schokolade, Chips, Vitamintabletten und Getränken in allen Farben. Die Mitarbeiter, fast alle männlich, sehen zwar nicht grandios aus, sind dafür aber alle jung und ganz freundlich und mein Rechner hat eine super Grafik-Karte zum Filmegucken. Und außerdem habe ich eine Verabredung.
„Wo musst du denn so dringend hin? Oh, sogar Lippenstift?“, fragt Rachel, als ich nach dem Treffen mit Gretchen und einem kurzen Besuch in den Waschräumen hektisch aufbreche. Rachel hat sich einen Bleistift hinters Ohr gesteckt und kaut auf einem Sandwich aus Weißbrot mit Erdnussbutter. Es fällt wirklich schwer, an die Gerechtigkeit der Welt zu
Weitere Kostenlose Bücher