Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ich und andere uncoole Dinge in New York

Ich und andere uncoole Dinge in New York

Titel: Ich und andere uncoole Dinge in New York Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia K. Stein
Vom Netzwerk:
Kölner, Pinneberg für Hamburger oder Bad Tölz für Münchner ist – peinlich. Weit weg ist es nicht.
    Bevor ich noch mehr fragen kann, drückt sie mir die Karte von einem Pizza-Dienst in die Hand, wo ich anrufen soll. Sie muss kurz zum Bankautomaten. Na super. Aber eine Pizza macht mich vielleicht wieder fit. Vorsichtig wähle ich die Nummer und mein Herz klopft so aufgeregt, als würde ich einen coolen Typen anrufen. Erstaunlich, dass mein Herz überhaupt noch klopft, so müde wie ich bin.
    „Hello?“, sage ich.
    „Whatywan.“ Habe ich aus Versehen in China angerufen?
    „Hello?“
    „WHATYWAN!“
    „I would like to order a pizza”, stammele ich vorsi chtig.
    „Wischkeind?“
    „I would like to order a pizza.“
    “YES WISCH KEIND?”
    Ich schlucke. „Normal Pizza. Two“, sage ich, weil mir keine einzige Pizzasorte und auch kein Englisch mehr einfällt.
    „Doublecheese free today.“
    Ich sage einfach zu allem „yes“ und lege schnell auf. Eine halbe Stunde später werden Pizzen geliefert, wie ich sie noch nie gesehen habe: groß wie Autoreifen und garniert mit wabbeligen Pfützen aus Käse. Dazu gibt es zwei große Schachteln mit Pommes, acht Servietten, Ketchup und eine Pyramide aus Plastikgabeln und Plastikmessern als Beilage.
    „Ich glaube, die Pommes, den extra Käse und den Haufen Plastik gab’s gratis, wenn man zwei große Pizzen bestellt“, entschuldige ich mich.
    „Du hast soeben das Geheimnis der amerikanischen Wirtschaft gelüftet. Du bezahlst doppelt so viel, wie du wolltest und bekommst dreimal so viel, wie du brauchst.“ Rachel dreht mit einer schnellen Handbewegung ihre tiefschwarzen Locken zu einer Spirale und befestigt sie mit einem Bleistift auf ihrem Kopf.
    „Bist du ursprünglich aus Italien oder Griechenland?“, frage ich. Schließlich sind hier ja alle irgendwann eingewandert.
    Rachel beißt ein Stück Pizza ab, wobei sich ein dicker Strang Käse zwischen ihrem Mund und der restlichen Pizza bis auf Armlänge ausdehnt. „Nö, ich bin nur Amerikanerin. Warum?“
    „Nur so, hätte ja sein können.“ Meine Güte, so dehnbar ist deutscher Käse nicht, da müssen ein Haufen Chemikalien drin sein. „Bist du schon mal in Deutschland gewesen?“
    „Nee, bisher nicht. Wir waren mal mit einem Onkel in Europa. Travel Europe in six days: London, Paris, Rome, Barcelona und Amsterdam. Aber nicht Deutschland. War so eine Reise vom Jewish Community Center und Onkel Aaron wollte eine Judentour ohne München.“
    „Judentour?“
    „Na, wir sind alle jüdisch und mein Onkel will nichts mit Deutschland zu tun haben.“
    Ich muss schlucken.
    „Juden. Du weißt schon, die Menschen, die Chanukka statt Weihnachten feiern“, fügt Rachel ironisch hinzu, als sie mein verwirrtes Gesicht sieht.
    Ich habe in der Tat keine Ahnung, was Chanukka ist, aber das sage ich lieber nicht. In der Schule haben wir nur ewig über Dachau und Auschwitz gesprochen. Unsere Lehrerin hat uns einen Lageplan gezeigt und Unmengen Schwarz-Weiß-Filme, in denen sich die Me nschen ruckartig bewegen und Hitlers Haare aussehen, als hätte ihm eine Kuh über die Stirn geleckt. Man konnte nie ein Wort von dem verstehen, was er brüllte.
    „Ich nehme Eis zum Nachtisch und du?“, fragt Rachel.
    „Ich auch.“ Sie holt zwei Pappbecher Ben & Jerry’s aus dem silbernen Kühlschrank. Oben auf dem Kühlschrank erspähe ich eine große Packung mit einem riesigen Kakerlaken-Bild und der Aufschrift Cockroach Instant Death. Kakerlaken-Sofort-Tot?
    „Hast du einen Freund?“ Rachel puhlt sorgfältig die kleinen Klumpen Kuchenteig aus der Vanille-Eiskrem, um sich dann beides nacheinander in den Mund zu schieben.
    Ich nuschele: „Nichts Ernstes.“ Diese Antwort verursacht erfahrungsgemäß die wenigsten Nachfragen und man muss nicht „nein“ sagen und dann beweisen, dass man stattdessen einen Haufen Verehrer hat, was in meinem Fall definitiv eine Lüge ist. Zum Glück lutsche ich gerade auf einem riesigen Stück Eiscreme und kann sowieso nicht sprechen. Warum werden hier solche Mengen an Kakerlaken-Gift gebraucht? Ich möchte nicht drüber nachdenken.
    „Ich auch nicht“, sagt Rachel. „Ich bin sogar noch Jungfrau. Es ist zum Verrücktwerden. Aber die Typen in meiner Schule kann man vergessen und diese Computer-Jungs bei Scirox sind auch daneben …“ Sie zuckt mit den Schultern. „Aber diesen Sommer werde ich es schaffen.“
    Ich bin platt. Niemand erzählt solche Details, ohne dazu gezwungen zu sein. Vor allem nicht

Weitere Kostenlose Bücher