Ich und andere uncoole Dinge in New York
jemandem, den man weder kennt, noch sonderlich zu mögen scheint. Wenn man mit fast sechzehn noch so wenig Erfahrung mit Jungen hat wie ich, versucht man das selbstverständlich so gut wie möglich zu vertuschen. Abgesehen von ein paar winzigen Flirts – und winzig ist nicht untertrieben – habe ich noch nie einen echten Freund gehabt. Null, niente, nix. Ich vermute zwar zu wissen, was man unter einem Orgasmus versteht, so eine Art seltsames Gefühl im Bauch, was einen ganz wibbelig und warm macht, alles flimmert und danach ist man ganz fürchterlich müde und kann ganz schnell einschlafen (und super tief schlafen). Aber das habe ich ohne fremde Hilfe herausgefunden. Ich bin mir außerdem nicht Hundert Prozent sicher.
„Was wirst du schaffen?“
„Na, meine Jungfräulichkeit zu verlieren.“
„Ach“, sage ich und tue so, als sei das ein ganz normaler Plan, den man für die Sommerferien halt so fasst. „Und was ist mit ihm?“ Ich zeige auf die goldene Fitnessclub-Karte mit dem eingestanzten Namen „Benjamin Greenewald“. Der Käse in meinem Magen hat sich zu einer bleiernen Kugel verdichtet.
„Ach – Ben. Er ist cool, aber keine Option in romantischer Hinsicht. Er ist schon im College und arbeitet diesen Sommer bei einer dieser riesigen Banken hier. Jeden Tag trägt er einen dunkelgrauen Anzug. Die Firma akzeptiert keine andere Farbe, nicht mal dunkelblau – so eine Art Job.“
Ich nicke, als wüsste ich, wovon sie redet. In Dinslaken sehen Bankangestellte einfach nur sagenhaft spießig aus, Schnäuzerträger mit zu hoch gezogenen Jeans und lila Jackett. Es klingelt.
„Das sind sie endlich.“ Rache l steht auf und öffnet die Tür. Meine Mutter steht im Flur wie von einem anderen Stern. Ich habe vergessen, dass sie kommen wollte, und vor Überraschung vergesse ich auch, dass ich sie mit Gleichgültigkeit strafen wollte, und falle ihr in die Arme.
„Judilein, hast du einen guten Flug gehabt? Sorry, dass ich dich nicht abholen konnte, aber ich hatte ein wichtiges Meeting in einer Galerie. Stell dir vor, ich habe wahrscheinlich schon einen Galeristen gefunden!“ Sie umarmt mich nochmals ungewohnt stürmisch vor Freude über ihre neue Galerie. Dave steht neben ihr und lächelt wohlwollend auf uns herab. Er ist vollständig in schwarz gekleidet und streicht seine schwarz-grauen halblangen Haare lässig zurück. Keine Ahnung, warum Dave sich für eine Kleinstadtpflanze wie meine Mutter interessiert. Angeblich finden sie sich gegenseitig unheimlich inspirierend. Naja, meine Mutter ist auch mindestens dreißig Jahre jünger. Sie zieht sich zwar unbeschreiblich peinlich an, mit jeweils zwei Ohrringen und orientalischen Kaftans, aber hässlich ist sie nicht. Hauptsache, sie begrapschen sich nicht, wenn ich dabei bin.
„Wir haben gerade Pizza gegessen, aber wir haben viel zu viel bestellt“, sagt Rachel.
„Herrlich, ich liebe Pizza“, schwärmt meine Mutter, lässt sich auf einen Stuhl in der Küche fallen und nimmt sich ein großes Stück. Zu Hause isst sie nie Pizza. Ich sehe sie mir noch einmal genau an. Vielleicht hat jemand einen Alien eingeschleust, so eine Art Terminator, der jedes Aussehen annehmen kann. Äußerlich lässt sich nämlich trotz ihres untypischen Verhaltens partout kein Unterschied zu meiner Mutter aus Eppinghoven feststellen.
„Rachel, das ist wirklich wahnsinnig nett von dir, dass du dich um Judith kümmerst“, sagt Dave und kneift Rachel in die Wange.
„Hey, Lieblingsonkel, mach’ ich doch gern. Ist auch wahnsinnig nett, dass ich hier wohnen kann“, versichert Rachel eifrig.
„Ihr müsst am Wochenende mal nach Long Island rauskommen, wenn Gina und ich dort sind.“
„Klar, ich komme super gern.“
„Dann kannst du Judith alles zeigen.“
„Gute Idee“, sagt Rachel, aber es klingt schon viel weniger begeistert.
„Hat Rachel dir schon von Scirox erzählt?“, fragt Regine-Gina und zieht mit den Zähnen ein Stück fettig glänzende Salami von der Pizza. Meine Mutter ist definitiv nicht der Typ, der sich über eine abwechslungsreiche Ernährung Gedanken macht wie die Mütter in den Werbespots. Sie isst auch nicht das, was sie zuhause mittags für mich kocht – was ich gut verstehen kann. Es gibt abwechselnd Pizza, Pommes, Fischstäbchen und Nudeln, eben alles, was nicht länger als 10 Minuten zubereitet werden muss. Wenn ich nicht selbst darauf achten würde, würde ich unter massivem Vitaminmangel leiden.
„Ja …?“
„Gina hat mir erzählt, dass du
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