Ich und er und null Verkehr
die Ecke
liegt â¦Â«, beginne ich mit einer
Erklärung.
»Sehr gut, sehr gut«, sagt er beflissen und reibt sich die Hände.
»So was weià ich zu schätzen, Tempo und Engagement. Genau solche Leute brauchen
wir.« Nervös nimmt er mein Manuskript entgegen, ohne auch nur einen einzigen
Blick darauf zu werfen. »Also, ich werde das gleich an die zuständige Lektorin
weiterleiten, und wir melden uns dann so schnell wie möglich bei Ihnen.«
Wie in Trance erhebe ich mich. »Ja dann â¦Â«
Dr. Baumann streckt mir die Hand entgegen, und ich ergreife sie.
Einen Moment lang stehen wir beide da wie versteinert, dann räuspert er sich.
»Und ich hoffe, Sie nehmen mir die kleine Verwechslung nicht übel. Es war nur ⦠derselbe Termin ⦠und die Namensähnlichkeit ⦠und â¦Â« Dann weià er nicht mehr
weiter.
Und mein Schlampenoutfit. Nicht nötig, dass er das auch noch
ausspricht.
Ich versuche, den riesengroÃen Kloà in meinem Hals
hinunterzuschlucken. »Ach wo, ist schon wieder vergessen«, würge ich hervor.
Aber das ist natürlich gelogen. Nichts ist vergessen. Ich habe mich
gerade entsetzlich blamiert und das schreckliche Gefühl, jeden Moment in Tränen
ausbrechen zu müssen.
»Freut mich«, sagt er mit besorgtem Blick. Dann lässt er meine Hand
wieder los und öffnet mir die Bürotür.
Als ich mit hochrotem Kopf und hämmerndem Herzen an Frau Kränzlein
vorbeirausche, sehe ich eine Frau auf demselben Platz, auf dem ich vorhin
gesessen habe. Sie springt reflexartig auf, und für einen Augenblick stehen wir
uns gegenüber. Sie trägt High-Heels, einen superkurzen Mini und ein enges Top,
aus dem riesige Brüste steil emporragen.
Ihr Anblick ist erschütternd für mich.
Hätte sie nicht blonde Haare und stark geschminkte, aufgespritzte
Lippen, hätte man uns glatt für Zwillinge halten können.
Hinter mir höre ich die Stimme von Frau Kränzlein: »Fräulein Sandy
Wild wäre jetzt da, Herr Dr. Baumann!«
Ich mache mir gar nicht mehr die Mühe, die Frau zu grüÃen,
stattdessen stakse ich davon, so schnell es mit diesen verdammten Stilettos
geht. Auf dem Flur komme ich an einem riesigen Spiegel vorbei, den ich vorhin
gar nicht bemerkt habe, und werfe im Vorbeigehen einen Blick hinein.
Entsetzt schnappe ich nach Luft.
Das gibtâs doch gar nicht! Habe ich Halluzinationen? Meine Lippen
sind plötzlich knallrot! Aber woher denn, ich habe doch nur �
Unsere Lippen bluten!
Mistkäfer Thomas und sein verdammter Lippenstift, den ich ihm
abgenommen habe. Abgenommen und zur Sicherheit in meiner Tasche verwahrt.
Ich wische mit dem Handrücken über meine Lippen, mache es dadurch
aber nur noch schlimmer. Jetzt ist alles bis zu den Wangen verschmiert, und ich
sehe aus wie ein Clown.
Mit hängendem Kopf trotte ich davon, und als ich in den Lift steige
und die Türen zugehen, strömen mir auf einmal ungehemmt die Tränen aus den
Augen, ohne dass ich irgendetwas dagegen tun könnte.
Er
Ivana Lorenz hat sich weitgehend an meine Empfehlungen
gehalten. Sie trägt ein sandfarbenes Kostüm, flache Wildlederstiefel und ist
dezent geschminkt. Na ja, zumindest für ihre Verhältnisse.
Und dennoch: die superblonden Haare, aufgespritzte Lippen wie ein
Schlauchboot und die nicht zu kaschierende Oberweite (Doppel-D, das weià ich
aus den Unterlagen der Gegenpartei, in denen die Operationskosten als
»groÃzügiges Investment in ihr seelisches Wohlbefinden« aufgelistet sind)
machen es einem schwer, in ihr eine geschundene, vernachlässigte Ehefrau zu
sehen, die ihrem Mann die besten Jahre ihres Lebens geopfert hat und sich nun
wegen grober Zerrüttung ihrer Ehe scheiden lassen will.
Aber egal. Jedem Beteiligten muss auf den ersten Blick klar sein,
worum es sich bei dem Ehepaar Lorenz handelt. Er â der klassische alternde
Selfmademillionär, der es zu einem Vermögen gebracht hat, und sie â die
ehemalige kroatische Schönheitskönigin, die ihm dabei behilflich war, dasselbe
standesgemäà wieder auszugeben.
Ein Arrangement, das auch funktioniert hat. Zwölf Jahre lang, bis
Hermann Lorenz kapiert hat, dass auch an ehemaligen Schönheitsköniginnen
irgendwann der Zahn des Jetset-Lebens zu nagen beginnt und dass es für einen
Millionär genügend Nachschub an willigem Frischfleisch
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