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Ich Und Kaminski

Ich Und Kaminski

Titel: Ich Und Kaminski Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Kehlmann
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wir sahen uns hilflos an. Dann führte er mich zu der Wandtafel mit den Abfahrtszeiten. Natürlich hatte ich gerade den Zug versäumt, und der nächste führ erst in einer Stunde.
    Im Bahnhofsrestaurant war ich der einzige Gast. Dort hinauf? Das sei aber noch ein gutes Stück, sagte die Wirtin. Ob ich da Ferien machen wolle?
    Im Gegenteil, sagte ich. Ich sei auf dem Weg zu Manuel Kaminski.
    Es sei nicht die beste Jahreszeit, sagte sie, aber ein paar schöne Tage würde ich wohl haben. Das könne sie versprechen.
    Zu Manuel Kaminski, wiederholte ich. Manuel Kaminski!
    Kenne sie nicht, sagte sie, sei nicht aus der Gegend.
    Ich sagte, er lebe seit fünfundzwanzig Jahren hier.
    Also sei er nicht von hier, sagte sie, sie habe es ja gewußt. Die Küchentür flog auf, ein dicker Mann stellte eine fettglänzende Suppe vor mich hin. Ich betrachtete sie unsicher, aß ein wenig und sagte der Wirtin, wie schön ich es hier fände. Sie lächelte stolz. Auf dem Land, in der Natur, eben auch hier, in diesem Bahnhof. Weitab von allem, unter einfachen Menschen.
    Sie fragte, wie ich das meine.
    Nicht unter Intellektuellen, erklärte ich, verkünstelten Angebern mit Universitätsabschluß. Unter Leuten, die noch ihren Tieren nahe wären, ihren Feldern, den Bergen. Die früh schlafen gingen, früh aufständen. Die lebten, und nicht dachten!
    Sie sah mich stirnrunzelnd an und ging hinaus; ich legte das Geld abgezählt auf den Tisch. Auf der wunderbar sauberen Toilette rasierte ich mich: Ich war noch nie geschickt darin gewesen, der Schaum mischte sich mit Blut, und als ich ihn abgewaschen hatte, zogen sich dunkle Streifen über mein plötzlich rot und nackt aussehendes Gesicht. Eine Glatze? Unbegreiflich, wie er darauf gekommen war! Ich schüttelte den Kopf, mein Spiegelbild tat das gleiche.
    Der Zug war winzig. Nur zwei Waggons hinter einer kleinen Lokomotive, hölzerne Sitze, keine Kofferablage. Zwei Männer in groben Kitteln, eine alte Frau. Sie sah mich an und sagte etwas Unverständliches, die Männer lachten, wir fuhren los.
    Es ging steil bergauf. Die Schwerkraft drückte mich gegen das Holz, als sich der Zug in die Kurve lehnte, fiel mein Koffer um, einer der Männer lachte, ich warf ihm einen wütenden Blick zu. Noch eine Kurve. Und noch eine. Mir wurde schwindlig. Neben uns öffnete sich die Schlucht: ein steil abfallender Grashang mit bizarren Disteln und in den Boden gekrallten Nadelbäumen. Wir fuhren durch einen Tunnel, die Schlucht sprang auf unsere rechte und, noch ein Tunnel, zurück auf die linke Seite. Es roch nach Kuhmist. Ein dumpfes Druckgefühl legte sich auf meine Ohren, ich schluckte, und es verschwand, aber nach ein paar Minuten kam es wieder und blieb. Nun gab es schon keine Bäume mehr, nur umzäunte Almen und die Umrisse der Berge jenseits des Abhangs. Noch eine Kurve, der Zug bremste, mein Koffer fiel zum letzten Mal um.
    Ich stieg aus und zündete eine Zigarette an. Das Schwindelgefühl ließ nach. Hinter dem Bahnhof war die Dorfstraße, dahinter ein zweistöckiges Haus mit verwitterter Holztür und offenen Fensterläden: Pension Schönblick, Frühstück, gute Küche. Ein Hirschkopf sah mich trüb aus einem Fenster an. Nichts zu machen, hier hatte ich reserviert, alles andere war zu teuer.
    An der Rezeption stand eine große Frau mit aufgesteckter Frisur. Sie sprach langsam und gab sich Mühe, trotzdem mußte ich mich konzentrieren, um sie zu verstehen. Ein zotteliger Hund beschnüffelte den Boden. »Bringen Sie den Koffer auf mein Zimmer«, sagte ich, »dann brauche ich noch ein zusätzliches Kissen, eine Decke und Papier! Viel Papier. Wie komme ich zu Kaminski?«
    Sie legte zwei Wulsthände auf den Rezeptionstisch und sah mich an. Der Hund fand irgend etwas und fraß es geräuschvoll auf.
    »Er wartet auf mich«, sagte ich. »Ich bin kein Tourist. Ich bin sein Biograph.«
    Sie schien nachzudenken. Der Hund drückte die Nase gegen meinen Schuh. Ich widerstand dem Wunsch, ihn zu treten.
    »Hinter dem Haus«, sagte sie, »den Weg hinauf. Eine halbe Stunde, das Haus mit dem Turm. Hugo!«
    Ich brauchte einen Augenblick, um zu begreifen, daß das dem Hund gegolten hatte. »Es fragen wohl oft Leute nach ihm?«
    »Wer?«
    »Ich weiß nicht. Urlauber. Bewunderer. Irgend jemand.«
    Sie zuckte die Achseln.
    »Wissen Sie überhaupt, wer dieser Mann ist?«
    Sie schwieg. Hugo grunzte und ließ etwas aus dem Maul fallen; ich bemühte mich, nicht hinzusehen. Ein Traktor tuckerte am Fenster vorbei. Ich bedankte mich und

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