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Ich vergebe dir - Bucciarelli, E: Ich vergebe dir - Io ti perdono

Ich vergebe dir - Bucciarelli, E: Ich vergebe dir - Io ti perdono

Titel: Ich vergebe dir - Bucciarelli, E: Ich vergebe dir - Io ti perdono Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elisabetta Bucciarelli
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ihm das Mikrofon dicht vor den Mund, so nah, dass es geradezu Angst einflößte. Doch anstatt davonzurennen, schien es, als wolle der Mann es regelrecht verschlingen, um es dann zusammen mit einem Wortschwall wieder herauszuwürgen.
    Hauptkommissarin Maria Dolores Vergani saß in einem bequemen Sessel ihres Wohnzimmers in der Via Ciro Menotti, Ecke Gustavo Modena. In Mailand konnte man die Abende noch bei geöffnetem Fenster verbringen, was sie auch getan hätte, wenn nicht der viele Verkehr auf den Straßen gewesen wäre. In dieser Stadt waren Fenster allein dazu da, Licht in die Gebäude zu lassen, nicht Luft. Luft war nur lästig, verpestet, laut. Maria Dolores hatte wenig zu Abend gegessen, etwas Vollkornbrot und Frischkäse, direkt von den Almen des Ayas-Tals. Nun saß sie mit einer Tasse Malzkaffee vor dem Fernseher, die Augen und Ohren gespannt auf den Bildschirm gerichtet.
    »Ich vergebe ihnen aus tiefstem Herzen, vergebe ihnen das, was sie meiner Tochter angetan haben. Meine Gedanken sind bei ihren Eltern, die darunter leiden, dass sie solche Kinder haben.«
    Die Journalistin bombadierte ihn mit Fragen, die bei Maria Dolores ein stechendes Unbehagen auslösten: »Und wenn Sie den Mördern Ihrer Tochter gegenüberstehen würden?«
    »Ich würde sie in die Arme schließen und ihnen vergeben, ja.« Der Mann wirkte wie in Trance oder unter Schock. Die Journalistin der Nachrichtensendung stellte weitere polemische und indiskrete Fragen, als Maria Dolores’ Telefon aus einem untätigen Schlummern hochschreckte.
    »Hallo?«
    »Hallo, ich bin’s, Corsari. Siehst du gerade den Bericht im Fernsehen? Sag mal, verstehst du den Typen?«
    »Ich habe gerade noch rechtzeitig eingeschaltet. Verstehen kann ich ihn schon, begreifen nicht. Ich kann nicht wirklich nachvollziehen, was er empfindet«, antwortete Maria Dolores, wie immer besonders vorsichtig bei ihrer Wortwahl.
    »Mir geht es auch so«, stimmte Corsari ihr zu.
    Pietro Corsari arbeitete erst seit einem knappen Jahr am Polizeipräsidium in Mailand. Mit seinem Studienabschluss in Philosophie war ihm erst eine Stelle bei der Bank, dann bei der Polizei angeboten worden. »Wenn das Studium an sich schon nichts taugt, dann verhilft es wenigstens zu einem Job«, waren sie beide zu der Einsicht gelangt, nachdem sie ihre Wahlverwandtschaft zu der Lektüre der Klassiker und zu Sprachen entdeckt hatten. Corsari war ohne Zweifel gut aussehend. Ein südländischer Typ, athletisch gebaut, mit großen Augen und Händen. Genau die richtige Körpergröße und perfekte Arme, die beschützen und umarmen konnten, wie es sich für einen Mann gehörte. Nicht selten machte seine angeborene Abneigung gegenüber übertriebener Investitionen in Mode und Modeartikel auf seine Mitmenschen den Eindruck, als gehöre er eher zur nüchternen Sorte von Mann. Doch sobald er den Mund öffnete, entdeckte man, wie sehr dieser Anschein über seinen wahren Charme hinwegtäuschte. Nichtsdestotrotz zog er die Frauen an, vor allem seine eigene. Eine jahrelange, eheähnliche Beziehung, die sich nicht damit abfinden konnte, dass nichts Weiteres mehr kam. Er trug seine 46 Jahre auf beispielhafte Weise, ohne Laster, aber mit großen Leidenschaften: Motorräder, Reisen und Reitsport.
    »Wir haben alle gesehen, wie das Mädchen zugerichtet war. Wie kann er nur so reden?«
    »Ich weiß nicht. Ich weiß es wirklich nicht«, entgegnete Maria Dolores, ohne die Augen vom Bildschirm abzuwenden.
    »Vielleicht ist seine Wut zu groß, oder sein Schmerz. Wir sollten uns darüber nicht weiter den Kopf zerbrechen«, schlug er vor.
    »Möglich«, antwortete sie abwesend. Dann, mit den Gedanken nun wieder bei ihrem Gesprächspartner: »Hast du eigentlich wegen etwas Bestimmtem angerufen?«
    »Nein. Die Durchsuchungen laufen noch, wir konnten aber bisher noch nichts finden.«
    »Laufen immer noch? Ich dachte, der Fall sei mit der Verhaftung abgeschlossen worden? Wieso führt ihr dann weitere Durchsuchungen durch?«, fragte sie mit Interesse, unter das sich ein wenig Unmut darüber mischte, dass man sie nicht in Kenntnis gesetzt hatte.
    Corsari, dem der unterschwellige Vorwurf nicht entgangen war, lenkte ein: »Ich wollte dich damit nicht belästigen, ich wusste, dass ich die Entscheidung alleine treffen konnte. Das ist ein grauenhafter Ort, glaub mir. Mit dem Vorwand der Durchsuchungen gelingt es uns möglicherweise, ihn komplett zu räumen. Wenn du ihn gesehen hättest, wärst du mit der Entscheidung einverstanden

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