Ich vergebe dir - Bucciarelli, E: Ich vergebe dir - Io ti perdono
du dich um die Mutter kümmerst. Sie leidet, und du könntest ihr helfen, wenn du wolltest. Du bist Psychologin, du kennst dich mit der menschlichen Psyche aus, könntest ihr etwas Unterstützung leisten.« Er begann von der Polenta zu essen. Mit einem großen Löffel, wie es Tradition war hier im Dorf.
»Warum ich? Ich bin nicht die einzige Psychologin auf der Welt, und überhaupt bin ich derzeit auch nicht als Psychologin tätig. Sondern als Kommissarin. Ich könnte eventuell einen fähigen Therapeuten suchen, nicht so weit weg vom Wohnort der Mutter.« Maria Dolores blickte ihn misstrauisch an.
»Es wäre auch eine Gelegenheit für dich«, fuhr er unbeirrt fort.
»Eine Gelegenheit für was?« Auch sie begann nun zu essen, allerdings mit der Gabel.
»Für deine innere Suche. Für eine Art Umkehr, eine Mühsal, die dir dabei hilft, den richtigen Weg zu finden.«
Den richtigen Weg? Die Absicht schien eine gute zu sein, aber praktisch gesehen verstand Maria Dolores noch immer nicht den wahren Grund.
Sie beschloss, das Ganze von einer anderen Richtung anzugehen: »Sie haben sich also an mich gewandt, weil Sie wissen, dass ich für die Polizei arbeite? So könnte ich, nebenbei, gleich auch noch Ermittlungen durchführen?«
»Nein. Einfach weil du eine besondere Psychologin bist, die mehr wissen könnte als irgendeine Psychologin.« Also doch eher ein »Ja«. Aber aus irgendeinem Grund spürte Maria Dolores, dass da noch etwas anderes war, und sie hakte weiter nach: »Inwiefern könnte ich mehr wissen?«
»Lassen wir das jetzt, es ist nicht der richtige Zeitpunkt.« Der Teller war bereits leer, und der Priester schien das Ganze zum Ende bringen zu wollen: »Lies die Seiten, die ich dir gegeben habe, dann sprechen wir noch einmal darüber, hörst du?« Er klang jetzt ganz wie ihr Vater, wenn er eine positive Antwort von ihr erwartete, und ihr, um sie nicht zu sehr unter Druck zu setzen, ein wenig Zeit ließ. Und damit die Illusion, selbst die Entscheidung getroffen zu haben.
»In Ordnung. Ich denke darüber nach. Morgen, bevor ich abfahre, komme ich bei Ihnen vorbei, um mich zu verabschieden.«
»Du kannst mich ruhig duzen.«
»Da ist noch etwas anderes, das du verschweigst, stimmt’s?«
»Für den Moment ist das alles«, schloss er das Gespräch.
10
Maria Dolores lag auf dem Bett, fuhr sich mit der Hand über die Stirn und legte den Papierstapel auf die Seite. Dann schaute sie auf die Uhr. Halb elf. Draußen herrschte bereits finstere Nacht, und das Hotelzimmer war ungeheizt. Sie hatte immer noch Hunger, aber nichts zu essen. Sie öffnete die Tasche, um nach einem Bonbon zu suchen, dabei fiel ihr Blick auf ihr Handy. Sieben Anrufe in Abwesenheit, und der Rufton seit dem Abendessen auf leise gestellt. Drei Anrufe von Achille Maria Funi, ihrem Kollegen, zwei von ihrer Mutter und die restlichen von ihrem Freund Michele Conti.
Sie stellte ihr Handy wieder auf laut, rief jedoch keinen der Anrufer zurück. Dann ging sie ins Bad. Das Neonlicht zeigte sie nicht gerade von ihrer besten Seite. Ihr fiel die weiße Kerze in einer der Schubladen ein und holte sie. Gleichzeitig zog sie ihren Kosmetikbeutel aus ihrer Reisetasche und ließ sich ausreichend Wasser für ein Bad ein.
Wer wohl schon alles vor ihr hier gelegen hatte? Bei der Vorstellung graute es ihr ein wenig, und sie hoffte, dass die sanitären Anlagen vorher gründlich gereinigt worden waren – was eigentlich nie der Fall war, wie sie wusste. Gewissheit darüber hatte sie während ihrer Polizeiarbeit durch die zahlreichen Laboruntersuchungen erhalten. Man konnte alle möglichen Spuren nachweisen, selbst aus Wannen, die erst kurz zuvor geputzt worden waren. Aber die Versuchung, sich im duftenden Badewasser aufzuwärmen, war einfach doch zu groß. Jeweils fünf Tropfen Neroli- und Orangenöl hinein, so konnte sie am besten abschalten. Sie zog sich aus und ließ sich langsam ins Wasser gleiten, bevor die Wanne randvoll war. Das Klingeln ihres Telefons aus dem anderen Zimmer bestätigte ihr, dass man nach ihr suchte. Sie mussten sich jedoch alle noch ein wenig gedulden. Wenigstens eine halbe Stunde.
Erfrischt rief sie kurze Zeit später einen nach dem anderen an, beginnend bei ihrer Mutter, dann Funi und ihren Lebensgefährten zu guter Letzt. Eigentlich benutzte sie diese Bezeichnung nie, doch im Grunde genommen handelte es sich um nichts anderes. Eine knapp dreijährige Beziehung. Verworren und schwierig.
Er nahm nicht ab. Vielleicht war er zum Abendessen
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