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Ich war ein Glückskind - mein Weg aus Nazideutschland mit dem Kindertransport

Ich war ein Glückskind - mein Weg aus Nazideutschland mit dem Kindertransport

Titel: Ich war ein Glückskind - mein Weg aus Nazideutschland mit dem Kindertransport Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: cbj Verlag: Verlagsgruppe Random House GmbH
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Hause«, fuhr die Schulleiterin fort. »Und bleibt auch dort. Geht nicht ins Freie, denn sie brennen unsere Synagogen ab. Und wenn sie könnten, würden sie auch uns anzünden.«
    Normalerweise brauche ich dreizehn Minuten, wenn ich von der Schule durch den Botanischen Garten nach Hause gehe.
    Diesmal bin ich die ganze Strecke gelaufen und war sehr viel schneller.
    Als ich zu Hause ankam, holte Mama gerade einen Schokoladenkuchen aus dem Ofen, doch Papa war nirgends zu sehen. Ich bekam einen gehörigen Schreck.
    »Du siehst blass aus, Püppchen«, sagte sie.
    »Wo ist Papa?«, rief ich, wie gelähmt vor Angst, dass er doch abgeholt worden war.
    »Er ist mit seinem Wanderverein unterwegs«, antwortete sie unbekümmert.
    Papa war gerne mit seinen Vereinskollegen zusammen, das wusste ich, und ich beruhigte mich wieder. Und obwohl es noch nicht Essenszeit war, fragte ich Mama, ob ich ein Stück Schokoladenkuchen haben könnte.
    »Jetzt, am Morgen?«, sagte sie missbilligend.
    Dann streichelte sie meine Wange.
    »Du bist immer noch so blass, Schätzchen«, sagte sie etwas besorgt, setzte die Kaffeekanne auf und schnitt für uns beide je ein großes Stück von dem Kuchen ab.
    Ich wollte gerade hineinbeißen, als laut an unsere Tür geklopft wurde.
    Meine Mutter stellte ihre Porzellantasse weg, stand auf, strich ihren Rock glatt und ging an die Tür.
    Ich folgte ihr voller Angst.
    Vor der Tür zögerte sie kurz, holte dann aber tief Luft und öffnete sie.
    Zwei schäbig gekleidete Männer drängten sich an uns vorbei.
    »Gestapo! Sieg Heil!«, riefen sie im Chor.
    Die Gestapo. Die Ungeheuer, die meine Mutter schon einmal abgeholt und in ihr Hauptquartier mitgenommen hatten. Damals hatte sie Glück gehabt.
    Jetzt schritten sie durch unsere Wohnung – und genau wie beim letzten Mal war einer von ihnen groß, bleich und dünn, der andere klein und dick, und beide trugen sie Homburger. Ohne zu fragen, rissen sie alle Türen und Schränke auf und bellten meine Mutter an: »Wo ist dein verfluchter Mann? Wo ist der Jude Georg Czarlinski? Wo steckt er?«
    Der Jude Georg Czarlinski? Das war alles, was mein Vater für sie war? Mein großer, gut aussehender, dunkelhaariger Vater, der im Großen Krieg so schwer verwundet worden war und von einer Granate ein Loch im Rücken und eine Beinverletzung davongetragen und einen Daumen verloren hatte, im heldenhaften Kampf für sein Vaterland Deutschland?
    Mein geliebter Vater, ein guter und sanfter Mann, der mir gern Gedichte vorlas und Lieder für mich komponierte; mein Vater, der so freundlich und liebevoll war und höflich zu allen, die seinen Weg kreuzten. Mein Vater, der von allen, die ihn kannten, geliebt und geschätzt wurde?
    Doch das war diesen Männern offenbar völlig egal. Für sie war mein Vater nur »der Jude Georg Czarlinski«, mehr nicht.
    »Wo ist der verdammte Jud? Wir sind gekommen, um ihn dorthin zu bringen, wo er hingehört. Wo zum Teufel steckt er?«, brüllte einer der Männer.
    Meine Mutter stand kerzengerade da, fast so, als wäre auch sie ein Soldat, sah dem Gestapomann in die Augen und sagte mit fester Stimme: »Wie können Sie es wagen! Mein Mann ist ein Kriegsheld. Ihm wurde das Eiserne Kreuz erster Klasse verliehen. Und er ist zu hundert Prozent Deutscher und stolz darauf! Genau wie ich auch!«
    Der Gestapomann schob sich an ihr vorbei in unseren gepflegten Salon mit den vergoldeten Möbeln und den roséfarbenen Teppichen, der Walnussvitrine, in der das kostbare filigrane Teeservice mit dem Goldrand steht, dem Gläserschrank mit den Kristall-Weingläsern, der Kommode, in der unser Silberbesteck liegt.
    Einer der Gestapomänner griff in die oberste Schublade und steckte, ohne zu fragen, eine Vorlegegabel aus echtem Silber ein, die mit den Initialen meiner Mutter versehen war.
    Noch ehe sie protestieren konnte, waren die Männer schon in mein Zimmer weitergestürmt.
    Ich sah mit Schrecken, wie sie mit ihren großen, schmutzigen Stiefeln über meinen weichen rosa Teppich stapften und ihre Abdrücke hinterließen.
    Vor Schreck ganz starr, stand ich in der Tür und musste mit ansehen, wie sie meine Schranktüren aufrissen und sogar in mein Puppenhaus schauten, die »Villa Marion«, die mit wunderschönen antiken Miniaturmöbeln ausgestattet ist und in der meine sechzehn wunderhübsch gekleideten Püppchen wohnen.
    Aber inzwischen war es mir egal, ob sie meine Villa Marion demolierten oder alles mitnahmen.
    Hauptsache, sie finden meinen Papa nicht! Sie dürfen ihm

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