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Ich war seine kleine Prinzessin

Ich war seine kleine Prinzessin

Titel: Ich war seine kleine Prinzessin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nelly
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zu
Freiheitsstrafen verurteilt worden. Das war 1946, glaube ich, und seitdem haben
die beiden Männer immer wieder ihre Unschuld beteuert. Das Geständnis sei mit
der Folter erpreßt worden, behaupteten sie. »Mea culpa« griff den Fall auf und
lud nicht nur Mis und Thiennot ins Studio ein, sondern auch den Polizeibeamten,
der ihre Aussagen zu Protokoll genommen hatte, sowie jene, die sich damals für
die Angeklagten eingesetzt hatten, und den Bürgermeister und einige andere
Einwohner des Dorfs, wo sich der Fall zugetragen hatte.
    Gleich zu Beginn der Sendung wollte
Patrick Meney wissen: »Sie kämpfen seit siebenundvierzig Jahren um Ihr Recht,
Ihre Rehabilitierung. Warum? Sie sind frei und könnten die ganze Sache doch
vergessen. Warum beteuern Sie weiterhin Ihre Unschuld? Ist das so wichtig für
Sie?«
    »Aber Monsieur«, antworteten beide wie
aus einem Munde, »es geht um unsere Ehre! Was kann es Wichtigeres geben? Wir
werden kämpfen, solange wir leben. Wir sind unschuldig!«
    Ich hatte großes Verständnis dafür,
auch wenn man meinen Fall nicht mit ihrem vergleichen konnte. Aber auch ich
wollte kämpfen, bis meine Ehre, mein guter Ruf wiederhergestellt wären. Auch
ich hatte gelitten, auch auf mich zeigten die Leute mit dem Finger, als sei ich
nicht Opfer, sondern Täter. Diese Verdrehung der Tatsachen war Thema der
Sendung. Da die Gerüchte und Verleumdungen in Suze-la-Rousse, dem Dorf meiner
Großeltern, in die Welt gesetzt worden waren, jenem Dorf, wo ich als Kind
gewohnt, wo Papa die drei Jahre bis zu seinem Prozeß gelebt, wo sich unser
ganzes Leben abgespielt hatte, hatte ich darum gebeten, Leute aus dem Ort ins
Studio einzuladen. Jene, die in mir die Schuldige sahen.
    Das Team von »Mea culpa« recherchierte
vor Ort: ob tatsächlich solche Gerüchte in Umlauf waren, wie viele Personen so
dachten, ob die Leute wirklich mir die Schuld an den Vorfällen gaben und ob sie
auch bereit wären, sich im Fernsehen dazu zu äußern. Manche sind nämlich zu
feige, einem offen ins Gesicht zu sagen, was sie denken. Die Journalisten
sprachen mit Großmutter Mireille, mit meiner Tante und mit dem Anwalt meines
Vaters. Sie unterhielten sich auch mit dem Bürgermeister, dem Pfarrer und
vielen anderen Einwohnern. Einige griffen mich derart massiv an, daß die
Reporter nur staunen konnten. Mein Vater war eben ein Einheimischer, ein Sohn
des Ortes, daher stellten sich viele auf seine Seite.
    Ich solle mich auf etwas gefaßt machen,
warnten mich die Fernsehleute. Falls ich Angst hätte, gewisse Dinge zu hören,
mich gewissen Leuten gegenüberzusehen, könne man das Ganze noch stoppen. Ich
sagte nein.
    Wir hatten Februar. Als Sendetermin war
der Mai vorgesehen. Das würden harte drei Monate werden. Aber ich blieb bei
meinem Entschluß. Für mich hing zuviel davon ab. Ich hatte nichts zu
verheimlichen und nichts zu verlieren. Im Gegenteil, ich konnte nur gewinnen.
Das war die Gelegenheit, reinen Tisch zu machen, den ganzen Ballast abzuwerfen.
Gab es eine bessere Therapie?
     
    Der große Tag war gekommen. Wir fuhren
alle miteinander nach Paris. Ein Junge aus meiner Schule war auch dabei. Im
Studio wartete bereits Odile Ducret auf uns. Wir aßen gemeinsam zu Mittag. Ich
war ein bißchen nervös, aber sonst ging es mir gut. Die Leute vom Fernsehen
waren unheimlich nett zu mir. Zum Schluß wurde ich noch geschminkt, und dann
ging’s ab ins Studio.
    Ich war sehr jung, ich würde über
intime Dinge sprechen und wollte versuchen, zum erstenmal die ganze Wahrheit zu
sagen. Aus diesem Grund würde die Sendung mit einem Zwiegespräch zwischen dem
Moderator und mir beginnen. Wir saßen einander gegenüber. Es war ganz still im
Atelier. Alle hörten uns zu. Patrick stellte präzise, sachliche Fragen. Er
verstand mich, er respektierte meinen Schmerz. Nach und nach erzählte ich die
ganze Geschichte, von Anfang an: wie es überhaupt so weit hatte kommen können,
daß ich von meinem Vater zum Geschlechtsverkehr gezwungen worden war. Über die
Vergewaltigung selbst sprach ich nicht, das hatte ich vorher mit Patrick
abgesprochen. Ich konnte einfach nicht. Alles andere schilderte ich genauso,
wie es gewesen war. Ich erzählte von unserem bescheidenen Häuschen, das ich so
sehr liebte, von meinem Vater, der wie ein Gott für mich gewesen war, vom
Unfall meiner Mutter, von meiner Rolle als »kleine Hausfrau«, von den Eifersuchtsanfällen
meines Vaters, von dem Keil, den er mit voller Absicht zwischen meine Mutter
und mich getrieben hatte. »Er

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