Ich war zwölf...
ist schlimmer als an dem Tag, wo ich ins Wasser gefallen
bin, ins Meer, ich schluckte Wasser und war am Ersticken. Ich erinnere mich an
diese panische Angst, ich glaubte, daß es das Allerschlimmste sei, wenn man
ganz allein kämpfen muß. Heute abend, im Badezimmer, ist es noch schlimmer. Ich
kann nicht mehr. Ich bin allein, ganz allein.
Er ist zurückgekommen. Keine Zeit,
meine Tränen hinunterzuschlucken und mich zu besinnen. Erneut beginnt er mit
heiserer Stimme zu schreien, es ist entsetzlich. Er will fortgehen, wegen mir
wird er fortgehen. Er wird sich ganz schnell ankleiden und seine Koffer packen,
um mir mein Leben nicht mehr zu vermiesen. Wenn »Mademoiselle« Launen hat, wenn
sie ihren Vater nicht mehr liebt, also gut, dann geht er eben! Alle werden
wissen, daß er wegen mir gegangen ist, ich bin schuld, es ist mein Fehler.
»Wegen dir, verstehst du das? Ich gehe
fort, und du bist schuld!«
Aber was soll ich machen? Ich will nicht,
daß er das Haus verläßt, ich will nur, daß er mich nicht mehr anfaßt. Daß er
mich nicht mehr mitten in der Nacht aufweckt, um mit mir diese Dinge zu machen...
Er hat die Schlüssel von seinem
Mercedes genommen, er schüttelt sie in seiner Hand hin und her. Er wird
wirklich fortgehen, mitten in der Nacht, mich allein lassen, und morgen, was
wird morgen sein? Es wird niemand mehr da sein, der mich verteidigt. Werde ich
keinen Vater mehr haben? Ich muß mich beruhigen und ihn zurückhalten, ihm
sagen:
»Papa, geh nicht fort, bitte, bitte.
Verlaß uns nicht. Bitte, bleib bei uns. Bitte, Papa... Papa, Papa, Papa...«
Das sage ich zu ihm, während ich auf
den Knien liege. Ich weine, mir tut alles weh, ich habe Angst, ich flehe ihn
auf Knien an, bei uns zu bleiben. Ich folge ihm bis in die Küche, um ihn
anzuflehen. Er setzt sich, er zündet eine filterlose Gauloise an, die für fünf
Francs das Päckchen. Er wirkt ruhiger, aber er hat keine Lust zu irgendwelchen
Diskussionen.
»Geh schlafen.«
Ich gehorche. Ich gehe mit gesenktem
Kopf davon, ich schäme mich. Ich habe eben etwas begriffen: Er hat mich
erpreßt! Und ich bin darauf eingegangen. Ich habe nachgegeben. Ich schäme mich,
daß ich geweint habe, daß ich ihn angefleht habe zu bleiben. Weil ich kein
VERTRAUEN mehr zu ihm habe. Dieses Wort schreibe ich in meinem Inneren mit
Großbuchstaben: VERTRAUEN.
In meinem Zimmer wiederhole ich das für
mich bis zum Geht-nicht-mehr. Ich weiß jetzt etwas, was ich nicht wußte, weil
ich zu klein gewesen bin und mir noch nichts ganz Schlimmes passiert war. Heute
ist etwas Schlimmes passiert: Zu jemandem Vertrauen haben heißt, ihn lieben.
Ich weiß das jetzt. Wenn man klein ist, spricht man Worte aus, ohne sie zu
verstehen. Wenn man klein ist, setzt dich Papa auf eine Schaukel, du hast
Angst, und er sagt: »Hab keine Angst, du hast Vertrauen zu mir, ich werde dich
ganz vorsichtig anschubsen, du wirst sehen, das ist lustig.« Und er sagt die
Wahrheit. Es ist lustig, und man hat Vertrauen zu Papa. Papa stößt die Schaukel
an, und man hat seinen Spaß.
Papa hat eben gelogen. Es stimmt nicht,
daß man seinen Vater lieben muß, wenn er schmutzige Dinge macht, wenn er einem
den Schlüpfer ausziehen will. Stimmt nicht. Ich hab’ kein Vertrauen mehr zu
ihm. Ich liebe ihn nicht mehr.
Ich bitte meinen großen Freund, den
lieben Gott, mir das zu erklären. Niemand antwortet mir. Es herrscht eine
lähmende Stille. Ich will wissen, warum ich bestraft werde. Warum der liebe
Gott nicht kommt und mir sagt, was ich tun soll. Wenn er nicht kommt, wenn es
schlimm ist, wenn er nicht antwortet, heißt das, er ist nicht da. Er hat mich
ganz allein gelassen, auch er.
Ich schere mich einen Teufel um alle
Puppen, die auf dem Bett liegen, schnuppe sind sie mir, ich will nicht mehr.
Ich will schlafen. Morgen werde ich aufwachen, und es wird nicht wahr sein.
Ich schlottere unter der Decke. In
meinem Nachthemd, meinem Schlüpfer. Es nützt nichts, die Augen zu schließen,
ich sehe immer dieselben Bilder vor mir, dieselben scheußlichen Dinge. Und wenn
er wiederkommt? Wenn er jetzt zurückkommt? Was wird mir noch passieren? Ich
wage nicht auf die Tür zu schauen. Ich presse die Augen ganz fest zu.
Es ist Tag, und es ist der nächste
Morgen. Ein Morgen, der nicht wie alle anderen ist. Wie ich.
Ich bin unruhig. Mich läßt die Sonne
kalt, ich denk’ nur an das eine, meine Ängste geheimzuhalten. Ich weiß nicht,
was mit mir geschieht und was mir noch geschehen wird. Ich fühle mich
verlassen. Ich
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