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Ich war zwölf...

Ich war zwölf...

Titel: Ich war zwölf... Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nathalie Schweighoffer
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machen wir wieder den Versuch,
uns zu lieben wie die anderen. Jeder sagt mir, daß es nicht gehen wird. Ich
gebe nicht auf. Er liebt mich, ich liebe ihn, wir werden’s schon schaffen.
    Die Beweisaufnahme ging ohne mich
weiter. Wurde ohne mich abgeschlossen. Neuerliches langes Warten bis zum
Prozeß.
    Mama hatte im Fernsehen eine Sendung
über geschlagene und vergewaltigte Kinder gesehen. Man sprach darin von einem
Verein, der sich »Kinder und Trennung« nannte. Carole Bouquet, diese wunderbare
Schauspielerin, so schön, so schlicht, so berühmt, unterstütze ihn.
    Mama wollte, daß ich der Präsidentin,
France Gublin, schreibe. Sie war so unglücklich, meine Mutter, daß sie in
diesem Moment überall Unterstützung suchte. Es kam ihr so vor, als sei unser
Fall einzigartig. Ich mußte ihr helfen, sie verteidigen.
    Sie haben meinen Brief erhalten, sie
haben mich gebeten, ein Register zu erstellen. Noch eines. Bei mir wimmelte es
schon von Strafregistern.
    Aber das wichtige bei diesem war, daß
der Verein einen Rechtsanwalt stellte. Er würde mich vertreten und im Namen des
Vereins als Nebenkläger auftreten. Wichtig war auch, daß ich dadurch
außergewöhnliche Leute getroffen habe. Ich wußte nicht, daß Erwachsene, Frauen,
sich für uns, vom Inzest mundtot gemachte Kinder, einsetzten. Sie wollten das
Schweigen brechen. Damit diejenigen, die davon wußten, die Erwachsenen,
ebenfalls den Mund aufmachten.
    Also habe ich einen wahrhaften Kreuzzug
begonnen. Ich wollte allen Mädchen in allen Ecken und Enden Frankreichs sagen,
sie sollten sich nicht verstecken, wie ich es getan hatte, und keine falsche
Scham haben. Schämen sollten sich die anderen, nicht sie.
    Ich geriet in ein Räderwerk. Zuerst
eine Fernsehsendung für FR 3 Nizza. Ein Versuch, das Tabu zu brechen. Das war
zu Anfang schwierig, aber ich habe mich überwunden. Nach diesen ersten
Schritten haben sich alle des Themas angenommen. Das Fernsehen, die Zeitungen,
die Medien. Ich war ein bißchen benommen davon, die Ereignisse wuchsen mir über
den Kopf, aber ich spürte, daß das Ganze ein phantastischer Sieg war. Es machte
mich stark, mich um die anderen zu kümmern, mit ihnen zu sprechen. Fast ein Glück...
    Ende des Glücks. Neuerliche Vorladung,
diesmal vor den Untersuchungsrichter. Erneute Konfrontation mit dem Ungeheuer.
Ich nenne ihn jetzt das Ungeheuer. Er ist nicht mehr mein Vater. Das ist zu
Ende. Ich habe einen gehabt, vor langer Zeit, in einem anderen Leben. Er ist
also das Ungeheuer.
    Das Ungeheuer ist mit seinen Anhängern
gekommen, seiner Familie, die der Überzeugung war, daß ich log. Ich glaube, er
log im wesentlichen deswegen. Damit diese Familie ihn nicht im Stich ließ. Ich
war allein mit meiner Mutter.
    Das Ungeheuer war in einem schlimmen
Zustand. Nervös, mit bleichem Gesicht. Ich sah gut aus. Das vertrug er
schlecht. Ich tat alles, um meine Angst zu verbergen. Mein Stolz war alles, was
ich hatte.
    Der Richter wirkt freundlich.
    »Nathalie, können Sie Ihren Vater
anschauen und ihm sagen, daß Sie ihn anklagen?«
    »Ja.«
    Natürlich kann ich das! Und ob! Dieser
Satz soll ihm ins Herz schneiden wie eine Messerklinge.
    »Ich klage Sie an, mich fünf Jahre lang
vergewaltigt zu haben.«
    Er wird weiß. Ich glaube, er glaubte
nicht daran. Hoffte er, daß ich kneifen würde? Daß ich mich schämte? Oder Angst
hätte? Es ist wahr, ich habe einen großen Schritt nach vorn getan, er hingegen
ist eingesperrt. Über nichts ist er auf dem laufenden. Er weiß nicht, daß man über
eine Menge Leute wie ihn zu Gericht gesessen hat, wegen schändlicher Vergehen.
Daß man sie verurteilt hat, daß man darüber spricht, daß das Tabu endlich
durchbrochen worden ist. Und ich war sicher, daß es auch ein wenig mein
Verdienst war. Weil ich das Wort ergreife, weil ich mich gegen einen Prozeß
unter Ausschluß der Öffentlichkeit sträube. Minderjährig? Das kümmert mich
wenig. Ich will brüllen, meine fünf Jahre Schweigen hinausschreien. Das ergibt
ein ungeheuerliches Geschrei! Wenn der Richter nicht anwesend wäre, würde ich
ihn beleidigen, bis mir Atem und Worte ausgingen.
    Statt dessen habe ich ihn mit »Sie«
angeredet, um ihn gemäß der Vorschrift ruhig anzuklagen, wie es sich gehört.
    Aber er antwortet, daß ich lüge, mit
einer süßlichen, tiefen, heuchlerischen, unerträglichen Stimme. Also wende ich
mich an meinen Rechtsanwalt und frage ihn:
    »Würde es meinen Fall verschlimmern,
wenn ich ihm voll ins Gesicht schlage?«
    »Bleiben Sie

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