Ich war zwölf...
Scheußlichkeiten für nichts und wieder nichts erzählen zu lassen.
Begriff er nicht, daß ich nur unter großen Schwierigkeiten darüber sprechen
konnte? Wen berät er eigentlich?
Also begeben wir uns zum Kommissariat,
Mama und ich. Ich kann mich vor Müdigkeit kaum auf den Beinen halten, ich
könnte Monate, Jahre schlafen. Ich kann nicht mehr. Ich glaub’ nicht mehr
daran. Wozu das alles?
Überraschung, eine Polizistin. Eine
zweite Josiane Balasko. Sympathisch. Endlich ein menschliches Wesen in diesem
Wirrwarr von Dummköpfen.
Sie bietet mir eine Zigarette an,
lächelt mich an, nimmt mir meine Befangenheit und warnt mich: Das wird sich
lange hinziehen. Sie öffnet eine Flasche Soda. Mama geht hinaus. Nun bin ich an
der Reihe.
Vier Stunden. Ich kann nicht mehr. Ich
bin dermaßen blockiert, daß sie ihre Vermutungen aussprechen muß und ich nur
mit dem Kopf nicke, wenn sie recht hat. Sie macht eine gründliche
Beweisaufnahme, und ich verstehe, daß es etwas gibt, worauf ich mich
einzustellen habe: Ich muß absolut alles sagen. Sie wird mir helfen. Die
einzige, die ihre Aufgabe korrekt erfüllt. Eine Superpolizistin! Sie weiß, daß
ich es noch nicht durchgestanden habe. Daß es erst beginnt.
Sie hat sich die nötige Zeit genommen,
um mein Schweigen zu brechen. Sie hat verstanden, warum ich nicht vorher
geredet habe. Sie hat schon andere vor mir gesehen.
Mama hat ihre Strafanzeige
unterschrieben. Sie hat von meiner Kenntnis genommen. Die Maschinerie hatte
sich in Bewegung gesetzt. Nun mußten wir warten, bis die Untersuchung begann.
Das war im Sommer 1988, das Meer war
voller Urlauber, Sonnenöl und Butterbrotpapier. Die Julisonne brannte all
diesen Sommerfrischlern auf die Köpfe. Und ich wartete auf die Gerechtigkeit.
15
Zufällig erfuhr ich, daß der
Verdächtige, mein Vater, für 48 Stunden in Haft genommen worden war.
Polizeigewahrsam.
Dann muß ich zur Gendarmerie, in diese
Stadt, die mir solche Angst einjagt. An den Ort des Verbrechens.
Der Zug, die Nacht, Bruno ist in diesem
Augenblick noch an meiner Seite. Vier Uhr morgens, die Gendarmerie. Der
Polizeikommandant ist ein anständiger Mann. Er sieht wie ein Familienvater aus,
ein richtiger, wie ich ihn mir gewünscht hätte. Aber das hier ist eine
Vernehmung. Erzähle von dem Dingsda, Nathalie... Wie Dingsda, dein Vater,
begonnen hat, dich zu vergewaltigen. Erzähl deine Kindheit. Du brauchst einen
Anfang. Erzähl das mit der Waschmaschine.
Mutig werfe ich mich hinein. Ich grabe
in meinem Gedächtnis, ich engagiere mich, so gut ich kann, in der Hoffnung, daß
ich es das letzte Mal erzähle. Es wird der Tag kommen, an dem mich niemand mehr
fragen wird: »Wann und wie hat es angefangen?«
Bis elf Uhr morgens habe ich geredet,
bis ich keine Stimme mehr hatte. Es ging so weit, daß man mich fragte, welche
Stellung meine Vater mich einnehmen ließ... abscheulich.
Es gab noch Abscheulicheres. Der
Staatsanwalt wollte eine Konfrontation zwischen meinem Vater und mir.
Um elf Uhr komme ich aus der
Gendarmerie. Um zwei Uhr nachmittags, desselben Tages, muß ich dem Ungeheuer
gegenübertreten.
Was soll ich ihm sagen?
Ich will nicht! »Es ist unerläßlich«,
sagt der Polizeikommandant, »das ist Vorschrift.«
Das Gesetz! Verfluchtes Gesetz! Wenn
ich nur ans Ende der Welt verschwinden könnte. Ihn wiedersehen... mich neben
ihn setzen...
Ich will nicht.
Trotzdem muß ich. Und plötzlich sage
ich mir: Nathalie, altes Mädchen, du wirst diesem Ungeheuer kein schuldbewußtes
Gesicht zeigen. Hör auf zu weinen, putz deine Nase, pudere deine Wangen, kämm
deine Haare, richte dich auf, wirf die Schultern zurück. Los. Du hast kein
Messer, aber du hast diesmal die Gendarmen an deiner Seite. Und den
Staatsanwalt. Zeig ihm, daß du stark bist, es würde ihn nur zu sehr freuen,
wenn er dich am Boden sähe. Siege, lieber Gott! Siege.
Meine Beine zittern, aber das sieht man
nicht. Man bittet mich, in einem Sessel Platz zu nehmen, gegenüber dem großen
Schreibtisch. Der Polizeikommandant setzt sich mit seiner Schreibmaschine
dahinter. Hinter ihm der Staatsanwalt.
Ich spüre den elektrischen Schock in
meinem Rücken. Die Tür öffnet sich, er kommt herein, Handschellen an den
Gelenken, zwischen zwei Gendarmen. Man läßt ihn neben mir Platz nehmen, und ich
schaue woanders hin, angespannt, konzentriere mich auf meine Kräfte. Selbst
zwischen den Gendarmen flößt er mir Angst ein. Ich darf nicht zusammenbrechen.
Ich ertrage nicht mehr, daß sich sein
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