Ich war zwölf...
bin aggressiv, und wenn
schon, das muß er hinnehmen.
»Wollen Sie’s genau wissen? Ich bin
fünf Jahre lang vergewaltigt und mißhandelt worden, er hat mich mit Drogen
vollgestopft, und anschließend wollte er mich auf den Strich schicken. Reicht
Ihnen das? Wollen Sie noch weitere Einzelheiten?«
Ich kann keine Einzelheiten mehr hören.
Ich nähere mich dem Ende dieses Buches, das ich wollte. Das ich mehr will als
je zuvor. Aber ich habe die »Details« satt. Ich kriege jedesmal Bauchweh,
Brechreiz, wenn man mich nach »Details« fragt.
Ihr braucht keine Details, Ihr Mädchen
wie ich, die Ihr noch schweigt. Dieses Buch ist für Euch und auch für mich. Wir
teilen es uns. Ohne die Details.
Jetzt bin ich in der Praxis des
Gynäkologen: Nach den Ärzten für den Kopf muß ich mir auch noch gefallen
lassen, daß mich ein Gynäkologe befingert. Ein Gynäkologe ist für mich etwas
Fürchterliches. Meine Kleider ablegen, mich ganz ausziehen, mich von innen
besehen lassen. Ich bin sicher, daß ich gebrandmarkt bin. Daß da drinnen
geschrieben steht: »Von ihrem Vater vergewaltigt.«
Dennoch komme ich nicht darum herum,
dieser Mann will mit Bestimmtheit wissen, ob die Vergewaltigung auf meine
Kindheit zurückgeht. Ich war zwölfeinhalb, verdammt noch mal, das weiß er doch.
Aber er will es sehen. Er erklärt, daß die Geschlechtsbeziehungen schon lange
zurückliegen. Alle Geschlechtsbeziehungen.
Es macht sie nicht sauberer, es nun
amtlich zu haben.
Ich ziehe mich wieder an und gehe
hinaus, erniedrigt.
Und aufs neue macht sich
Niedergeschlagenheit breit.
Es ist zu Ende. Ich warte auf das rosarote
Papier vom Schwurgericht. Ich befinde mich in einem elenden Zustand, als ich
mein Französischabitur mache. Wie üblich sind die anderen Mädchen um mich herum
normal, sie haben einen Vater, er ist nicht im Gefängnis, sie zerbeißen sich
nicht die Nägel vor Angst bei dem Gedanken, die rechte Hand zu heben und vor
einem Gericht sagen zu müssen »ich schwöre«. Ich schwöre, daß mich mein Vater
fünf Jahre lang unter Zuhilfenahme von Schlägen und Einschüchterung
vergewaltigt hat.
Dann streckt mir jemand seine Hand
entgegen; François de Closets lädt mich zu einer Sendung in einem großen
staatlichen Fernsehprogramm ein. Ein wundervoller Mensch. Ein richtiger Mann.
Und ich hatte schon geglaubt, so etwas gäbe es nicht mehr.
Ich werde ihn vor Ihnen nicht über den
grünen Klee loben. Er ist mein Freund geworden.
Die andere Hand ist das hier: dieses
Buch. Ein Verleger, der mich dazu ermutigt. Seither kritzle ich in Windeseile
alles in ein Heft, ich schreibe, wie man sich wäscht, wie man frische Luft
einatmet. Ich empfinde dabei ein starkes Gefühl der Befreiung.
Tausend Dank.
Ich warte auf das rosarote Schreiben.
Ich weiß im voraus, daß ich verlieren werde. Es wird keine Todestrafe geben,
das heißt, ich werde verlieren.
4. Oktober 1989, neun Uhr morgens. Ich
stehe vor dem Gericht. Die Sonne ist kalt. Ich hasse diese Stadt. Aber es ist
mein großer Tag. Der einzige, den man mir bietet. Auf dem kleinen Platz stehen
sich die Zeugen die Beine in den Bauch und warten darauf, daß man sie in den
Gerichtssaal läßt.
Sein Familiengrüppchen, seine Freunde,
die Leute von seiner Verteidigung.
Mein Grüppchen besteht aus meiner
Mutter, meiner Schwester, Bruno und den Freundinnen, die bei der Zerstörung
meiner Pubertät zugegen waren. Insbesondere Anne-Marie, die als erste einen
Verdacht hatte, die mir die ersten Fragen gestellt und meiner Mutter geraten
hatte, mich zu einem Psychologen zu schicken. Damals umsonst.
Da ist der Polizeikommandant der
Gendarmerie, verantwortlich für die Untersuchung, ein so anständiger Mann,
Familienvater, daß mein Vater daneben noch mehr wie ein Tunichtgut aussieht.
Auf ihn warte ich. Ich bin besessen
davon.
Innerlich bin ich vollkommen auf den
Hund gekommen; man hat mich mit Beruhigungspillen vollgestoft. Um mein Äußeres
aufzupolieren, trage ich ein hübsches Kostüm, goldene Ohrringe und Schuhe mit
Absätzen. Ich bin achtzehn, bald neunzehn Jahre alt, ich bin eine Frau.
Zumindest müßte ich eine sein, wenn es ihn nicht gegeben hätte. Es ist mir
wichtig, wie ich aussehe, wichtig sind mein Stolz, meine Rache. Ich halte mich
daran fest, um nicht umzufallen.
Die Stafette der Gendarmerie trifft auf
dem kleinen Platz ein und betritt den Hof des Justizpalastes.
Er ist drinnen, der Verbrecher, in
Handschellen, bewacht. Ich muß ihm ins Gesicht sehen. Ich möchte ihm in seine
Visage
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