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Ich war zwölf...

Ich war zwölf...

Titel: Ich war zwölf... Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nathalie Schweighoffer
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ruhig.«
    Mir schmerzt der Rücken. Ich bin mit
den Nerven fertig. Wie werde ich das fünf Stunden lang durchstehen? Ich habe
keine Ahnung. Fünf Stunden in diesem Büro Lügen und dreckigen Unsinn anhören,
den er anzubringen versucht, um der Justiz zu entgehen. Fünf Stunden... eine
Ewigkeit... und jetzt versucht er’s noch mit etwas anderem. Er steht auf, er
hält sich für einen Vater!
    »Ich habe meiner Tochter noch nicht
alles gesagt, was ich ihr zu sagen habe...«
    Doch so etwas schätzt der Richter
nicht:
    »Monsieur... nicht Sie arrangieren
diese Gegenüberstellung. Ich muß Sie bitten, sich zu setzen und zu schweigen.«
    Er hat den Mund gehalten. Es blieb ihm
nicht anderes übrig, als seine alberne Autorität hinunterzuschlucken.
    Niemand kann verstehen, was Tage wie
diese bedeuten. Ich habe vor Angst gezittert. Die Justiz entschloß sich noch
nicht, ihn endgültig unter Anklage zu stellen. Wann? Wann wird man ihm endlich
ein für allemal das Maul stopfen? Es machte mich krank, daß man ihn reden ließ,
daß man Fragen an ihn richtete wie an einen normalen Menschen, daß er einen
Anwalt zu seiner Verteidigung hatte. Ihn töten, etwas anderes kam doch nicht in
Frage.
    Manchmal ängstigt mich meine Roheit,
mein Bedürfnis nach Rache, das mich vergiftet.
    Ich habe eine Woche gebraucht, um mich
davon zu erholen. Ihn wiederzusehen, das war schlimmer als alles andere.
Diesmal sagte ich mir, gut, es ist zu Ende. Jetzt wird man dich in Ruhe lassen.
Nun brauchst du nur noch auf den Brief zu warten, der ankündigt, daß das
Ungeheuer am genannten Tag um die und die Uhrzeit verurteilt werden wird...
    Nur leider war es weder so einfach noch
so leicht. Ich war lediglich ein unbekanntes Mädchen, das in einer Masse
Unbekannter unterging. Wenn die Justiz den Fall eines Ministers oder eines
Mannes des öffentlichen Lebens in die Hand nimmt, meint man, ein Kampf werde
vorbereitet. Das Schwurgericht debattiert Tage, ja zuweilen Wochen hindurch.
Ich, Nathalie, war ein Nichts. Ein Stück Dreck.
    Nur ein vergewaltigtes Kind. Nichts
Wichtiges. Man ließ mich warten, und letzten Endes sollte das Schwurgericht nur
einen Tag lang für mich tagen. Dieser Verbrecher würde also in aller Eile
abgeurteilt werden, wieviel würde man ihm aufbrummen? Zehn Jahre... es handelt
sich schließlich um ein Verbrechen... aber nicht lebenslänglich. Oh, nein. So
schlimm ist es nicht. Darauf hatte mein Rechtsanwalt mich schon im voraus
hingewiesen. Die Todesstrafe? Die gibt es doch gar nicht mehr. Die
lebenslängliche Freiheitsstrafe? Die ist für bewaffnete Raubüberfälle, für
Terroristen, für diejenigen, die sich an bedeutenden Menschen und Dingen
vergangen haben... Er hingegen... er würde zehn Jahre bekommen, vielleicht
zwölf...
    Also haben die Alpträume wieder
begonnen. Das Messer in der Hand, die Spitze nach unten, gelang es mir nicht,
ihn zu töten, ich wachte schweißgebadet auf... ich überstand die Tage nur mit
Hilfe von Beruhigungstabletten, die Nächte waren fürchterlich.
    Zuweilen sah ich mich wieder ganz
allein im Haus, vor Angst gelähmt auf einem Kanapee, mit dem Gefühl, verrückt
zu werden, den Verstand zu verlieren...
    Dann sah ich ihn plötzlich in einem
Türwinkel, hinter einem Fenster, auf der Straße auftauchen...
    Ich erlebte wieder die allerschlimmsten
Stunden. Wusch mich dreimal hintereinander wie eine Wahnsinnige, legte mich
vollständig angezogen, unter einem Berg von Decken, zu Bett.
    Einen Tag lang schlafen, ohne erschrocken
aufzufahren, weil er mich an den Füßen zieht, mir auf den Kopf schlägt... nicht
mehr hören: »Heute abend bleibst du da...«
    Mein Gott, wie löscht man das aus? Läßt
sich das nicht ausradieren?
    In diesem Zustand befand ich mich, als
ein weiterer Brief vom Gericht kam. Der Untersuchungsrichter hielt es für
notwendig, daß ich bei einem Psychologen, einem Psychiater und einem
Gynäkologen vorsprach.
    Um zu beweisen, daß ich keine
Geschichten erzähle.
    Auflehnung. Ich wollte diese Blödmänner
nicht sehen. Ich weiß, was ich sage. Unnötig, daß man es mir auch noch beweist.
Ich mißtraue euren Worten, nicht meinen.
    Ich sitze im Büro des Psychologen.
Bockig. Keine Lust, mit ihm zu sprechen. Er stellt mir pausenlos blöde, komische
Fragen. Kann mich an nichts erinnern. Alles geht mir auf den Geist, ich bin
müde.
    Zwei Stunden später bin ich in einem
anderen Büro, dem des Psychiaters. Er ist verrückter als ich, dieser Kerl. Ich
brauche ihn nicht, um zu wissen, was wahr ist. Ich

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