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Ich weiss, dass du luegst

Ich weiss, dass du luegst

Titel: Ich weiss, dass du luegst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Ekman
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dem Verdächtigen vor der Befragung vermitteln kann, dass die Bestrafung für die Lüge strenger ausfallen wird als die Strafe für das Vergehen selbst, ist die Chance größer, den Verdächtigen davon abzuhalten, sich in eine Lüge zu flüchten.
    Eltern sollten wissen, dass die Schwere der Bestrafung mit ausschlaggebend dafür sein wird, ob ihre Kinder Verfehlungen eingestehen oder ob sie lügen werden. Das klassische Beispiel für diesen Zusammenhang stammt aus Mason Locke Weems' leicht fiktionalisiertem Bericht Lebensbeschreibung des George Washington. Der Vater spricht zum jungen George: «Viele Eltern zwingen ihre Kinder in der Tat zu dieser verwerflichen Gewohnheit [des Lügens], indem sie sie wegen jedes kleinen Fehlers auf barbarische Art und Weise verprügeln: Daher wird dem kleinen verängstigten Geschöpf beim nächsten Verstoß eine Lüge herausrutschen! Nur um dem Stock zu entkommen. Aber nun zu dir, George, du weißt, ich habe dir immer gesagt und werde es jetzt noch einmal sagen, wenn du versehentlich etwas Falsches tust, was häufig der Fall sein muss, da du ja noch ein armer kleiner Junge ohne Erfahrung und Wissen bist, darfst du niemals die Unwahrheit sagen, um es zu verbergen. Komm stattdessen mutig zu mir, mein Sohn, wie ein kleiner Mann, und erzähle es mir: Und statt dich zu schlagen, George, werde ich dich umso mehr dafür ehren und lieben, mein Kleiner.» Und tatsächlich stellt George unter Beweis, dass er dem Versprechen seines Vaters vertraute.
    Nicht nur Kinder können durch den Akt des Lügens mehr verlieren, als sie mit Ehrlichkeit hätten verlieren können. Ein Ehemann sagt seiner Frau vielleicht, er hätte ihr, trotz der Kränkung, die Affäre nachsehen können, wenn sie ihn nicht belogen hätte. Der Vertrauensverlust, so seine Behauptung, wiege schwerer als die Erschütterung seines Glaubens an ihre Treue. Womöglich hat seine Frau dies vorher nicht gewusst, und vielleicht stimmt es auch gar nicht. Wenn man das Eingeständnis einer Affäre als Grausamkeit auffasst, könnte der gekränkte Ehepartner verlangen, dass ein wahrhaft rücksichtsvoller Gefährte sich bei einem solchen Vertrauensbruch taktvoll zu verhalten habe. Verheiratete Paare sind vielleicht häufig unterschiedlicher Meinung. Die Gefühle können sich im Lauf einer Ehe ändern. Einstellungen werden radikal über den Haufen geworfen, sobald es eine außereheliche Beziehung gegeben hat. Sie unterscheiden sich womöglich von den Ansichten, die man hatte, als die Angelegenheit noch rein hypothetisch war.
    Selbst wenn der Übeltäter weiß, dass es mehr Schaden anrichtet, beim Lügen ertappt zu werden, als wenn er alles zugibt, mag die Lüge dennoch sehr verlockend erscheinen. Denn die Wahrheit zu sagen bringt unmittelbare und unumgängliche Nachteile mit sich, während eine Lüge die Möglichkeit verspricht, jeglichen Verlust zu vermeiden. Die Aussicht, einer sofortigen Strafe zu entgehen, kann so reizvoll sein, dass der Lügner die Wahrscheinlichkeit, ertappt zu werden, und die damit verbundenen Nachteile unterschätzt. Die Erkenntnis, dass ein Geständnis die bessere Vorgehensweise gewesen wäre, kommt zu spät, wenn der Betrug so lange und so trickreich aufrechterhalten worden ist, dass ein Geständnis keine geringere Strafe mehr mit sich bringt.
    Manchmal sind die jeweiligen Kosten eines Geständnisses und einer fortgesetzten Verheimlichung ziemlich eindeutig. Es gibt Taten, die so schlimm sind, dass ihr Eingeständnis dem Täter wenig Anerkennung einbringt, während ihre Verheimlichung nur wenig zur Verschärfung der Strafe beiträgt, die ihn erwartet. Dies ist der Fall bei Kindesmissbrauch, Inzest, Mord, Landesverrat und Terrorismus. Wer solche Verbrechen gesteht, kann im Gegensatz zum reuigen Schürzenjäger nicht mit Vergebung rechnen (obwohl ein mit Reue verbundenes Geständnis die Strafe womöglich verringert). Sobald sie einmal aufgedeckt worden sind, wird sich außerdem kaum jemand moralisch darüber empören, dass sie zuvor verheimlicht wurden. Nicht nur unangenehme oder grausame Menschen können in eine solche Situation geraten. Der Jude, der in einem von den Nazis besetzten Land seine Identität verheimlicht, oder der Spion in Kriegszeiten gewinnt wenig, wenn er seine Identität preisgibt, und verliert nichts bei dem Versuch, seine Täuschung aufrechtzuerhalten. Doch auch wenn es keine Chance gibt, eine geringere Bestrafung herauszuschlagen, kann ein Lügner ein Geständnis ablegen, um die Bürde zu

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