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Ich weiss, dass du luegst

Ich weiss, dass du luegst

Titel: Ich weiss, dass du luegst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Ekman
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Filme mit grausigen Szenen aus der Chirurgie und bat sie, beim Zuschauen jeden Anflug eines Gefühls zu verbergen. Zunächst scheiterte mein Experiment. Keiner gab sich genügend Mühe, erfolgreich zu sein. Ich hatte nicht vorausgesehen, wie schwer es sein würde, Leute dazu zu bringen, im Labor zu lügen. Sie geraten in Verlegenheit, weil sie wissen, dass Wissenschaftler sie dabei beobachten, wie sie sich schlecht verhalten. Häufig steht so wenig auf dem Spiel, dass sie sogar dann, wenn sie es schaffen zu lügen, nicht mit derselben Ernsthaftigkeit dabei sind wie im wirklichen Leben, wenn es darauf ankommt.
    Also suchte ich Krankenpflegeschülerinnen als Versuchspersonen aus, weil in ihrem Beruf viel davon abhängt, mit genau solchen Lügen erfolgreich zu sein. Krankenpfleger müssen in der Lage sein, alle ihre negativen Emotionen zu verbergen, wenn sie Operationen oder andere blutige Ereignisse sehen. Mein Experiment bot den Schülerinnen eine Chance, diese für ihren Beruf bedeutsame Fähigkeit einzuüben. Ein anderer Grund für meine Wahl war, dass ich so das ethische Problem umging, beliebige Personen solchen grausamen Szenen auszusetzen. Krankenpfleger entscheiden sich mit ihrer Berufswahl dafür, sich solchen Ereignissen zu stellen. Ich gab ihnen folgende Anweisungen:
    «Wenn Sie in der Notaufnahme arbeiten und eine Mutter kommt mit einem übel zugerichteten Kind angerannt, können Sie Ihre Verzweiflung nicht zeigen, selbst wenn Sie wissen, dass das Kind unter entsetzlichen Schmerzen leidet und kaum Chancen hat, zu überleben. Sie müssen Ihre eigenen Gefühle im Zaum halten und die Mutter beruhigen, bis der Arzt kommt. Oder stellen Sie sich vor, was Sie tun, wenn Sie die Fäkalien eines Patienten beseitigen müssen, der seine Darmbewegungen nicht mehr unter Kontrolle hat. Es ist ihm ohnehin schon peinlich, oder er schämt sich, auf das Niveau eines Kleinkinds herabgesunken zu sein. Wahrscheinlich sind Sie angewidert, aber Sie müssen dieses Gefühl verbergen. Dieses Experiment bietet Ihnen die Gelegenheit, Ihre Fähigkeit zu erproben, Gefühlsbezeugungen zu kontrollieren. Zuerst werden Sie einen angenehmen Film sehen, der farbenprächtige Meeresszenen zeigt. Während Sie sich den Film anschauen, sollen Sie einem Interviewer, der den Film nicht sehen kann, ganz offen Ihre Gefühle beschreiben. Danach bekommen Sie einige der schlimmsten Szenen zu sehen, mit denen Sie jemals in Ihren künftigen Berufsjahren konfrontiert sein werden. Während Sie sich diese Szenen anschauen, müssen Sie Ihre wahren Gefühle verbergen, sodass der Interviewer denken wird, Sie sähen gerade einen neuen beschaulichen Film. Sie können zum Beispiel sagen, er zeige schöne Blumen im Golden Gate Park von San Francisco. Versuchen Sie es, so gut Sie können.» Wir suchten die schlimmsten Filme aus, die wir finden konnten. In Vorbereitungsstudien stellten wir fest, dass Bilder schwerer Verbrennungen einige Versuchspersonen tief erschütterten, da sie wussten, dass die schlimmen Schmerzen eines Verbrennungsopfers kaum durch Medikamente gelindert werden können. Andere verloren die Fassung, als sie eine Amputation sahen. Einerseits entsetzte sie der Anblick des herausschießenden Blutes, andererseits der Gedanke, wie dieser Mensch sich fühlen musste, wenn er beim Aufwachen erkannte, dass ihm ein Körperteil fehlte. Wir schnitten die beiden Filme zusammen, sodass der Anschein erweckt wurde, als habe das Verbrennungsopfer auch noch eine Amputation erleiden müssen. Mit Hilfe dieser schrecklichen Filme konnten wir feststellen, wie gut Menschen außerordentlich starke Gefühle verbergen können, wenn sie es wollen oder müssen.
    Da der Wettbewerb um die Zulassung zur Krankenpflegeschule an meiner Universität enorm ist, konnten diese jungen Pflegerinnen Spitzenergebnisse in unterschiedlichen Leistungstests, sehr gute Zeugnisse und ausgezeichnete Charakterbeurteilungen vorweisen. Doch obwohl sie eine derart exklusive Gruppe waren, zeigten sie deutliche Unterschiede bei der Fähigkeit, ihre Gefühle zu verbergen. Manchen gelang es hervorragend, während es andere überhaupt nicht schafften. In den anschließenden Interviews stellte ich fest, dass eine Unfähigkeit, während der Betrachtung meiner grausigen Filme zu lügen, nicht typisch für mein Experiment war. Einige der Pflegeschülerinnen hatten ständig Schwierigkeiten, ihre Gefühle zu verleugnen. Andere Menschen wiederum sind besonders anfällig für die Furcht vor Entlarvung und haben

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