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Ich weiss, dass du luegst

Ich weiss, dass du luegst

Titel: Ich weiss, dass du luegst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Ekman
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könnte: Kummer und Verzweiflung darüber, dass Othello ihr nicht glaubt und dass die letzte Hoffnung, ihre Unschuld zu beweisen, dahin ist, jetzt, da Othello Cassio umgebracht hat. Sie hat Angst, dass Othello nun auch sie töten wird. Desdemona weint aus Todesangst, wegen ihrer auswegslosen Lage, wegen Othellos Mangel an Vertrauen und nicht weil ein Geliebter tot ist.
    Othellos Irrtum ist auch ein Beispiel dafür, wie vorgefasste Meinungen das Urteilsvermögen eines Lügenermittlers beeinflussen können. Othello ist schon vor dieser Szene von Desdemonas Untreue überzeugt. Er ignoriert alle anderen Erklärungen für ihr Verhalten und bedenkt nicht, dass ihre Emotionen letztlich nichts beweisen. Statt seinen Glauben an Desdemonas Untreue zu überprüfen, sucht er nur eine Bestätigung dafür. Othello ist ein extremes Beispiel, aber vorgefasste Meinungen verzerren häufig das Urteil und veranlassen den Lügenermittler, Vorstellungen, Möglichkeiten und Fakten beiseitezuschieben, die nicht zu der Meinung passen, die er sich bereits gebildet hat. Das geschieht sogar, wenn der Lügenermittler unter seiner vorgefassten Meinung leidet. Othello peinigt der Gedanke, dass Desdemona lügt, was ihn allerdings nicht dazu bringt, in die andere Richtung zu denken und nach etwas zu suchen, was sie entlasten könnte. Er interpretiert Desdemonas Verhalten so, dass es auf die schmerzlichste Art und Weise das bestätigt, was er sich am wenigsten wünscht.
    Solche vorgefassten Meinungen, die das Urteilsvermögen des Lügenermittlers trüben und zum Bezweifeln-der-Wahrheit-Fehler führen, können aus vielen Quellen stammen. Dass Othello so sehr an Desdemonas Untreue glaubte, war Jagos Werk, seines bösen Beraters, der aus eigennützigen Motiven Othellos Untergang herbeiführte, indem er zunächst das Misstrauen in ihm weckte und es dann weiter anstachelte. Jago hätte sein Ziel kaum erreicht, wenn Othello nicht so eifersüchtig gewesen wäre. Menschen, die ausreichend eifersüchtig sind, brauchen keinen Jago, damit ihre Eifersucht wach wird. Sie streben danach, ihre schlimmsten Befürchtungen zu bestätigen, und entdecken schließlich auch, was sie vermutet haben - dass sie von allen anderen hintergangen werden. Misstrauische Menschen wären schreckliche Lügenermittler und anfällig für den Bezweifeln-der-Wahrheit-Fehler. Natürlich gibt es gutgläubige Leute, die den entgegengesetzten Fehler machen und einer Lüge Glauben schenken. Sie kommen nicht auf den Gedanken, dass man sie betrügen könnte.
    Wenn viel auf dem Spiel steht und der Verdächtige lügt, erhöhen sich die Kosten für den Lügenermittler. Dann kann es passieren, dass selbst Menschen, die keine Eifersucht kennen, schnell ein falsches Urteil fällen. Wenn ein Lügenermittler wütend wird, Verrat fürchtet und bereits die Demütigung einmal erlebt hat, die sich einstellt, wenn seine schlimmsten Befürchtungen begründet sind, ignoriert er vielleicht alles, was ihn beruhigen könnte, und stürzt sich auf das, was ihn noch unglücklicher macht. Es kann passieren, dass er lieber die Demütigung akzeptiert, bevor sein Verrat bewiesen ist, statt eine noch schlimmere Demütigung mit der Aussicht zu riskieren, noch länger hinters Licht geführt zu werden. Lieber jetzt leiden, als die Qual der Unsicherheit gegenüber dem zu ertragen, was man fürchtet. Er hat größere Angst davor, einer Lüge zu glauben - zum Beispiel, dass er Hörner aufgesetzt bekommen hat als die Wahrheit anzuzweifeln - nämlich ein übertrieben misstrauischer Ehemann zu sein. Dies sind keine rational getroffenen Entscheidungen. Der Lügenermittler ist ein Opfer dessen geworden, was ich ein emotionales Lauffeuer nenne.
    Emotionen können außer Kontrolle geraten und dabei eine Eigendynamik entwickeln, wobei sie sich im Lauf der Zeit nicht etwa abschwächen, wie es üblich ist, sondern an Intensität zunehmen. Alles, was zum Treibstoff schrecklicher Gefühle werden kann und ihre Zerstörungskraft vergrößert, wird aufgegriffen. In einem solchen emotionalen Inferno kann einen nichts zur Ruhe bringen, das heißt nichts, was man selbst anstrebt. Man handelt, um die jeweils dominierende Emotion zu intensivieren, wobei Furcht in Terror, Ärger in Wut, Widerwille in Ekel und Kummer in Qual verwandelt werden. Ein emotionales Lauffeuer verzehrt alles, was sich ihm entgegenstellt - Objekte, Fremde, geliebte Menschen, das Selbst -, bis es ausgebrannt ist. Man weiß nicht, was solche Lauffeuer entstehen und

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